Wie wurde Macron wegen seines kometenhaften Aufstiegs zum Präsidenten genannt? „Jupiterpräsident“ – abgeleitet vom Göttervater Jupiter. In einer wahrhaft jungdynamischen Aktion hat er das alte Parteiensystem ausgehebelt und sich an die Spitze des französischen Staates katapultiert.
Aber dieses strahlend aufgegangene Gestirn verblasst langsam. Die Beliebtheitswerte des Präsidenten sind laut Presseberichten seit 2017 gesunken. Waren es einst über 50 Prozent, werden jetzt nur noch zwischen 20 und 30 Prozent gemeldet. Oft heißt es, der französische Präsident trete arrogant auf und vergesse die „einfachen“ Menschen.
Woher kommt die Unzufriedenheit der Mehrheit des französischen Volkes, die sich jetzt in dem Protest der „Gelbwesten“ Bahn bricht? Liegt es am Wirtschaftswachstum? Schauen wir uns das einmal in Frankreich in den vergangenen zehn Jahren an, s. folgende Grafik.
An dem Wirtschaftswachstum in Frankreich kann es nicht liegen. Das ist zwar in den letzten zehn Jahren nicht so stark gewachsen wie in Deutschland, aber immerhin, es liegt kumulativ im positiven Bereich. Verglichen mit Italien, das sogar im negativen Bereich landet, sieht das gar nicht so schlecht aus.
Da könnte schon eher die hohe Arbeitslosigkeit, gemessen an der Arbeitslosenrate, ein Grund sein. Die lag in den letzten 10 Jahren permanent zwischen 9 und 11 Prozent, 2018 bei 9,3 Prozent. In Deutschland ist sie nur 5,3 Prozent, also fast die Hälfte. Deshalb versprach Macron in seinem Wahlkampf vor allem auch: Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze. Beides hängen, so meinen Politiker, miteinander zusammen.
Wie will er Wirtschaftswachstum generieren? Indem Macron die Unternehmen stärkt und stimuliert. Unternehmen zu stimulieren ist niemals eine schlechte Idee, denn woher kommt unser Reichtum? Von der Wirtschaft, also auch von den Unternehmen! Nur, wie stimuliert man sie? Nach neoliberaler Doktrin, indem man sie begünstigt. Und das ist das Schlimme, dass es bloß eine Doktrin ist, die aber nicht sagt, wie man folgendes Kunststück fertig bringt: Eine Henne, die goldene Eier legt, mit nur soviel Goldkörner zu füttern, dass die goldenen Eier, die sie legt, mehr wert sind, als das goldene Futter, das man gegeben hat.
Schon im Wahlkampf hatte der „Himmelsstürmer-Präsident“ angekündigt, dass er die Vermögenssteuer (die über 1,3 Mill. Privat-Vermögen fällig ist) oder wie sie auch genannt wird „Reichensteuer“, manche sagen auch „Neidsteuer“, abschaffen will. Macron argumentierte, dass die Reichen, die auf Grund der Steuer das Land verlassen haben, zurückkommen, und es dadurch mehr Investitionen und auch mehr Arbeitsplätze gibt. Er wollte die Vermögenssteuer durch eine Steuer auf unproduktiv genutzte Immobilien und große Luxusgüter (z.B. Yachten) ersetzen. Doch die Ersetzung, die 2017 erfolgt ist, hat mehrere Auswirkungen. Die Steuereinnahmen durch die Immobiliensteuer ist längst nicht so hoch wie die alte Vermögenssteuer (knapp 1 Mrd. Euro stehen ca. 4,5 Mrd. Euro gegenüber). Bevor sich die sagenhaften Vorteile der gestrichenen Vermögenssteuer auswirken, muss also der Staat andere Steuereinnahmen-Quellen erschließen oder Kürzungen der Ausgaben vornehmen. Und da hat er sich, getreu neoliberaler Lesart, für die Sozialausgaben entschieden. Dazu gehören Entkopplung einiger Sozialausgaben von der Inflation oder das Absenken des Wohngeldes für Sozialhilfeempfänger.
Nun kann man den Sinn einer Vermögenssteuer unterschiedlich beurteilen. Natürlich führt sie dazu, dass einige Reiche der Steuerpflicht durch Verlagerung ihres Vermögens ins Ausland zu entgehen versuchen oder ganz abwandern, und man dann von ihnen gar keine Steuer mehr erhält. Ursprünglich war sie in den 80er Jahren eingeführt, um wenigstens teilweise die Sozialausgaben zu decken. Freilich hat die Vermögenssteuer auch Symbolwert. Denn, wenn man sie abschafft und an die Kürzung von Sozialausgaben geht, dann hat man schnell das Etikett „Präsident der Reichen“ am Revers. Auf welchem Pulverfass er sitzt, hat Marcron sichtlich nicht richtig erkannt, denn es waren nicht nur allein seine Leistungen, die seinen Aufstieg beförderten, sondern auch die große Unzufriedenheit in seinem Land mit dem bisher Bestehenden.
Wie man die Balance zwischen sozialer Gerechtigkeit und Förderung des Wirtschaftswachstums hält, ist eine ganz schwierige Aufgabe. So einfach, wie es sich die Linken machen, zu meinen, dass man nur ordentlich umzuverteilen brauche, ist es nicht. Das hat François Hollande, der Vorgänger von Macron, erfahren müssen, als er die Vermögenssteuer 2012 kräftig erhöhte und den Spitzensteuersatz von 75 Prozent ab einer Million Euro Einkünfte einführte. Er löste damit eine Flucht der „Reichen“ aus und musste 2015 zurückrudern. Aber auch umgekehrt wird nicht immer ein goldener Schuh daraus, wenn man die Steuern für die Reichen senkt und dafür die Sozialausgaben kürzt, wie man bei der Regierung von Macron sieht.
Eigentlich ist Frankreich hinsichtlich sozialer Gerechtigkeit gar nicht so sehr ein schlimmer Fall wie z.B. die USA. Siehe nächste Grafik (die das am Anteil am Privatvermögen des obersten reichsten 1 Prozents der Bevölkerung zeigt, analog einer Grafik im vorhergehenden Blogbeitrag „Die ökonomischen Grundlagen des Neoliberalismus“).
Aber auch diese „relative“ soziale Gerechtigkeit schützt keine Regierung vor Massen-Protesten. Es spielen eben dabei auch Gefühle eine Rolle. Z.B.: „Der Präsident tut zuviel für die Reichen und Unternehmen und nichts für uns.“
Jetzt ist der Präsident den „Gelbwesten“ entgegengekommen und hat auf die Erhöhung der Diesel-Benzin-Steuer verzichtet und außerdem die Erhöhung des Mindestlohnes vorgezogen. Also auch das kostet eher Geld als dass es Geld bringt. Aber seine dynamisch angegangenen Reformen im Unternehmenssektor (außer der Streichung der Vermögenssteuer und einer umfassenden Arbeitsmarktreform, die Einstellungen und Kündigungen vereinfacht, sinkt auch die Körperschaftssteuer bis 2022 von 33 auf 25 Prozent) sind auch kostenintensiv.
Damit kommt Macron aber auf einer anderen Ebene in die Bredouille, bei der Staatsverschuldung. Der französische Staat wird die Maastricht-Kriterien beim Budgetdefizit von 3 Prozent des BIP zukünftig wieder verletzten, nur 2017 und 2018 hat er das nicht getan. Frankreich kommt aus dem Anwachsen der Staatsverschuldung nicht heraus (siehe nächste Grafik). Eine schwierige Situation für Emmanuel Macron!
2 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Armer Macron… ( meine ich ehrlich, er wirkr auf mich glaubhaft). Aber in seiner Situation scheint es kaum noch einen Ausweg zu geben. Entweder riskiert man die weitere Kapitalflucht der „Großen“ oder es drohen immer mehr Leute in gelben Westen oder es kommt zu Ermahnungen und Bestrafungen aus Brüssel. Und nun auch noch populistisches Auftrumpfen aus Italien. … Christa
Ich finde auch, dadurch, dass sich die Gelbwesten mit der populistischen Regierung Italiens getroffen haben, haben sie sich diskreditiert.