In der Eurozone besteht ein starkes Nord-Süd-Gefälle. Der Grundgedanke bei der Gründung der Währungsunion, dass sich die wirtschaftlichen Verhältnisse durch die Einführung einer gemeinsamen Währung (Euro) angleichen würden, hat sich als falsch herausgestellt. Und er war von vornherein falsch, denn durch eine gemeinsame Währung lassen sich wirtschaftliche Gegebenheiten nicht einfach angleichen. Wenn das so simpel wäre, hätten sich die Bundesstaaten der Vereinigten Staaten von Amerika in ihrer Wirtschaft schon lange anpassen müssen, denn sie besitzen viel länger eine gemeinsame Währung. (Dann brauchte man auch die Entwicklungsländer nur in einen gemeinsamen Währungsraum einzubinden, um ihre wirtschaftliche Unterentwicklung zu überwinden!)
Die jetzige Corona-Krise verschärft das wirtschaftliche Gefälle zwischen Nord- und Süd-Euro-staaten noch, das zeigt sich am Beispiel Italiens. Die Staatsverschuldung dieses Landes war schon vorher mit am höchsten in der Eurozone, s. Grafik:
* gesicherte Daten bis 2018; 2019 erfolgte Prognose bis 2024, also noch vor Ausbruch der Coronavirus-krise
In nominellen Euros ist die Verschuldung Italiens seit 2000 ständig gestiegen, dazu nächste Grafik:
* gesicherte Daten bis 2018; 2019 erfolgte Prognose bis 2024, also noch vor Ausbruch der Coronavirus-krise
Die Neue Züricher Zeitung schrieb im Mai 2020, dass die Schulden Italiens vor der Corona-Krise, Ende 2019, 2410 Mrd Euro betrügen. Und weiter schrieb sie: „In ihrer Frühlingsprognose rechnet die EU-Kommission damit, dass Italiens Wirtschaftsleistung 2020 um fast einen Zehntel einbricht und die Verschuldung auf 159% des BIP steigt. Das wären rund 160 Mrd. € zusätzlicher Schulden.“ [https://www.nzz.ch/wirtschaft/coronavirus-die-krise-kostet-italien-ueber-2500-milliarden-euro-ld.1555051] Mit anderen Worten, die Verschuldung Italiens steigt in diesem Jahr massiv weiter, das BIP sinkt aber. Die Prognosen in den obigen Grafiken von 2019 bis 2024 sind schon Makulatur. In der Eurozone hat nur Griechenland, gemessen am BIP, eine höhere Staatsverschuldung als Italien. In Euro-Beträgen liegt aber Italien weit vorn (ca. 350 Mrd Euro zu ca. 2500 Mrd Euro).
Bei solchen Zahlen drängen sich die Fragen auf: Werden die Staatsschulden einiger Euro-Länder die Eurozone auseinandertreiben und wo sind Lösungsansätze?
Ist die Eurozone falsch konzipiert?
In meinem Blogbeitrag vom Sept. 2020 hatte ich bei der Buchbesprechung von Max Ottes „Weltsystemcrash“ geschrieben: „Spätestens jetzt, nach 20 Jahren Euro-Einführung kristallisiert sich heraus, die Euro-Einführung war voreilig, einige europäische Nordstaaten, Deutschland, Finnland, Niederlande, Österreich und Luxemburg wären reif für eine Währungsunion gewesen, die südeuropäischen Staaten, Frankreich eingeschlossen, sind zu inhomogen, um an einer Währungsunion (in der jetzigen Form) teilzunehmen.“ [https://oekonomie-kompakt.de/max-otte-ein-begnadeter-publizist-freilich-ein-wenig-selbstverliebt]
Muss aber dieser Anfangsfehler der Eurozone für immer negativ wirken? Antwort: Das kommt darauf an, wie man die Eurozone weiter ausgestaltet! – Was zum Beispiel nicht passieren darf, dass sie zu einer reinen Transfer-Union verkommt. Mit anderen Worten, dass die südländischen Staaten sich darauf „ausruhen“, dass ihnen im Notfall schon geholfen wird oder finanzielle „Solidarität“ von den anderen Staaten einfordern. Immer noch gilt die „No-Bail-out-Klausel“ (“Die Union haftet nicht für die Verbindlichkeiten von Mitgliedstaaten und tritt nicht für derartige Verbindlichkeiten ein. Ein Mitgliedstaat haftet nicht für die Verbindlichkeiten eines anderen Mitgliedstaats und tritt nicht für derartige Verbindlichkeiten ein.” So steht es im EU-Vertrag, Artikel 125.)
Ich halte diese Festlegung für richtig, auch wenn man sie ein wenig modifizieren muss: Was nämlich ebenfalls nicht passieren darf, dass ein Staat der Euro-zone wegen seiner Schulden zusammenbricht. Henrik Müller schreibt dazu:
„Gegenwärtig ist die Lage so: Gerät ein Eurostaat an den Rand der Pleite, muss er fast zwangsläufig gerettet werden. Zu desaströs wären die Auswirkungen eines Staatsbankrotts samt Euroaustritt. Sozial- und Gesundheitssysteme brächen weitgehend zusammen. Öffentlich Bedienstete könnten nicht mehr bezahlt werden. Die Banken würden ebenfalls in den Strudel des Bankrotts gezogen, weil sie dann auf teilentwerteten Staatsanleihen sitzen, die riesige Löcher in ihre Bilanzen reißen.
Dieses Pleite-Szenario ist allzu abschreckend: Die zivile Ordnung gerät ins Wanken; wirtschaftliche und politische Instabilität breitet sich in Europa aus. Genau das sollte das europäische Einigungsprojekt ja gerade verhindern. Deshalb kann ein Staat, der seine Schulden nicht mehr bedienen kann, mit der Hilfe der anderen Europartner rechnen. Zu hoch erscheint der Preis des Nichteingreifens.
Genau deshalb ist die No-Bail-out-Klausel nicht glaubwürdig. Wenn es hart auf hart kommt, gibt es doch irgendeine Form von finanziellem Beistand. Wir haben es im Zuge der Eurokrise erlebt, als Griechenland, Portugal, Irland und Zypern Rettungsschirmgelder erhielten.“ [https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/eurozone-und-schulden-was-europa-von-den-usa-lernen-kann-a-1241485.html ]
Henrik Müller wendet sich im weiteren seines Artikels den USA-Bundesstaaten zu. Wenn einer von ihnen pleite ist, dann wird es für ihn ungemütlich, aber das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben bricht nicht zusammen.
Diese Disziplinierung, dass es dem Staat weh tun muss, wenn er pleite ist, wünsche ich mir auch für die Euro-staaten. Bevor Hilfe von außen kommt, muss erst einmal nach den Eigenleistungen des betreffenden Staates gefragt werden. Im Falle Italiens hieße das, dass der italienische Staat vielleicht eine Vermögensabgabe bei seinen Bürgern erhebt. Die italienischen Bürger sind nämlich viel vermögender als die deutschen. Deshalb halte ich den Vorschlag von Daniel Stelter als durchaus diskussionswürdig. [https://www.wiwo.de/finanzen/vorsorge/daniel-stelter-die-italiener-sind-noch-reicher-als-die-schweizer-es-waere-gut-sie-wuerden-einen-eigenanteil-bringen/25789326.html] Schon 10 Prozent Vermögensabgabe könnten reichen, um die italienischen Staatsschulden unter 100 Prozent vom BIP zu drücken. Unter den italienischen Politikern ist ein solcher Vorschlag natürlich nicht gerade populär, auch nicht unter der italienischen Bevölkerung, das ist klar. Sowohl italienische Politiker als auch Bevölkerung rufen da lieber nach europäischer „Solidarität“, weil das einfacher ist.
Apropos Politiker, sinnvoll ist es, den Fall einer Staatspleite im Euro-Raum schon vorher zu diskutieren (Klauseln dazu fehlen nämlich in den Verträgen von Lissabon), als dann in einer Nacht-und-Nebel-Aktion fragwürdige Kompromisse in Brüssel auszuhandeln, die vielleicht der gegenwärtige Misere halbwegs begegnen, aber nicht zukunftsfähig sind.
Wenn US-Bundesstaaten bankrott sind, müssen sie sich mit ihren Gläubigern selbst auseinandersetzen und um Zahlungsaufschub oder anderen Konditionen bitten. Die US-amerikanische Bundesregierung wird ihnen nicht aus der Klemme helfen. Aber in dieser Beziehung liegt gerade die Kalamität bei der italienischen Staatsverschuldung. Ein Großteil der Schulden liegt bei den italienischen Banken und Versicherungen. [https://www.nzz.ch/wirtschaft/coronavirus-die-krise-kostet-italien-ueber-2500-milliarden-euro-ld.1555051] Bei einer italienischen Staatspleite würde das automatisch eine Bankenkrise in Italien bedeuten. Und das darf in Zukunft nicht mehr passieren. Bei den US-Bundesstaaten ist das so geregelt, dass die Banken in den US-Bundesstaaten – die zum Teil überregional sind – genügend US-Treasuries (das sind Anleihen, die vom Schatzamt der USA ausgegeben werden) besitzen müssen, die sie im Konkursfall, wie Eigenkapital, in Geld umwandeln können, um ihre Probleme zu lösen. Ähnliche Regelungen müssten auch im Euro-Raum eingeführt werden. Entweder müssen Staatsanleihen bei den Banken generell mit Eigenkapital hinterlegt werden (was bisher noch nicht verlangt wird, was aber Finanzminister Scholz Ende 2019 vorgeschlagen hat) oder man könnte auch stufenweise vorgehen, Staatsanleihen, von Euro-Staaten, die die Marke von 60 % Staatsverschuldung vom BIP nicht überschreiten, brauchen bei den Banken nicht mit Eigenkapital hinterlegt zu werden, darüber ja. Das würde die Euro-Staaten auch dazu anhalten, ihre Verschuldung unter 60 % zu drücken. Die bisherige Obergrenzen-Vereinbarung von 60 Prozent Verschuldung in den Lissabonner Verträgen waren ja bisher wirkungslos.
Was aber, wenn es zu einem Schuldenschnitt in Italien käme, die auf die gesamte Eurozone umgelegt werden würde? (Eines der schlimmsten Szenarien!) Dann müssten Deutschland und die anderen haushaltsbewussten Euro-Länder darauf hin wirken, dass dieser Schuldenschnitt für die ganze Eurozone gelten müsste. Womit auch Deutschland wieder mehr Spielraum für Investitionen bekäme. Deutschland sollte dann auf keinem Fall einen Sonderweg beschreiten oder wie Daniel Stelter es ausdrückt, zum „Geisterfahrer“ werden. [https://www.wiwo.de/finanzen/vorsorge/daniel-stelter-die-italiener-sind-noch-reicher-als-die-schweizer-es-waere-gut-sie-wuerden-einen-eigenanteil-bringen/25789326.html ]