Ich bin gebeten worden, etwas über die horrende Ungleichheit in der Welt zu schreiben und gleichzeitig Möglichkeiten zu ihrer Beseitigung aufzuzeichnen.
Wie die Ungleichheit in der Welt messen?
Zunächst müssen wir uns über die Stärke der Ungleichheit in der Welt klar werden. Die Organisation Oxfam stellt dazu fest: “Gemeinsam besitzt die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung nicht einmal ein Prozent des globalen Vermögens. Schaut man dagegen auf die Reichsten, ist es umgekehrt: Einem Prozent der Menschheit gehören 45 Prozent des globalen Vermögens.” Bei den Einkommen verhält es sich nicht viel anders: “Die Spitzenverdiener konnten 27 Cent von jedem Dollar des globalen Einkommenswachstums zwischen 1980 und 2016 für sich verbuchen. Nur 12 Cent pro Dollar entfielen auf die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung.” https://www.oxfam.de/system/files/2020_oxfam_ungleichheit_studie_deutsch_schatten-der-profite.pdf In der zitierten Studie wird auch vermerkt, dass fast die Hälfte der Weltbevölkerung (3,4 Mrd Menschen von 7,6 Mrd) als arm gelten muss, sie haben weniger als 1,90 US-Dollar pro Tag zur Verfügung bzw. bei Staaten mit mittleren Einkommen weniger als 5,50 US-Dollar (ist weniger als die dortigen minimalen Lebenshaltungskosten).
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, soziale Ungleichheit in Zahlen auszudrücken. Entweder, wie oben geschehen, bezogen auf das obere 1 Prozent und die unteren 50 Prozent der Bevölkerung oder auf das obere Dezil und die untere Hälfte. Sehr einprägsam finde ich die 80:20-Regel oder das Pareto-Prinzip, nachdem ungefähr 20 % der Bevölkerung über etwa 80 % der finanziellen Ressourcen verfügen. Die Abweichung von dieser 80:20-Regel zeigt, wie viel mehr Ungleichheit oder auch Gleichheit existiert. [s. dazu auch meinen Blogbeitrag vom Sept. 2018 „Eine wichtige Zahl in der Vermögens-Verteilung eines Landes: die 80/20-Verteilung“] In der Studie von Oxfam, aber auch in anderen Veröffentlichungen wird betont, dass es schwierig ist, weltweit Aussagen zur Ungleichheit zu erhalten.
Eigentlich müsste man solch eine Grafik, wie folgende zu Grunde legen:
Aus ihr könnte man die Verteilung der Einkommen errechnen, indem man die Größe der schwarz und rot schraffierte Flächen ausrechnet und gegenüberstellt. Das habe ich einmal getan und komme zu einer Einkommensverteilung von 41 % zu 59 %, d.h. 20 % der Weltbevölkerung haben einen Anteil am Welt-Einkommen von 59 % und die restlichen 80 % haben einen Anteil von 41 %. Bei der Verteilung der Vermögen ist die Ungleichheit natürlich größer und die Zahl für die oberen 20 % der Bevölkerung liegt näher an 80 % oder gar noch darüber.
Die Chancen zur Nivellierung zwischen arm und reich in der Welt
Was auffällt, ist der hohe Anteil der Armen in der Welt. Während es in Deutschland nach dem Armuts- und Reichtumsbericht von 2017 ungefähr 15 % Arme gibt, sind es in der Welt, wie oben erwähnt, fast die Hälfte der Bevölkerung. Dabei haben die Entwicklungsländer höhere Wirtschafts-Wachstumsraten als die Industrieländer und haben in den letzten 30 Jahren in der Armutsentwicklung etwas aufgeholt, trotz hohen Bevölkerungswachstums. Doch das Tempo des Aufholens nimmt ab. Außerdem gibt es ein Problem, Ungleichheit allein durch Wirtschaftswachstum zu begrenzen, auf das Oxfam hinweist: „Hinzu kommt, dass ein Festhalten an Wirtschaftswachstum als Lösung des Armutsproblems uns noch vor ganz andere Probleme stellen würde: Die globale Wirtschaft müsste um das 175-Fache [hier ist wohl 175 Prozent gemeint – Seb. Solt.] anwachsen, wollte man allein über Wachstum jedem Menschen bis 2030 ein Einkommen von mindestens 5 US-Dollar am Tag ermöglichen. Ein solches Wachstum wäre angesichts der begrenzten Ressourcen unseres Planeten katastrophal.“ [obiger Link, S.7]
Leben wir von der Armut der dritten Welt?
Dieser Satz, nicht als Frage, sondern als Aussage formuliert: „Wir leben von der Armut der dritten Welt“, wird oft von linker Seite angeführt, um auf unsere Verantwortung für die „dritte Welt“ aufmerksam zu machen. Wie oft bei solchen pauschalen Urteilen enthält er etwas Wahres, aber gleichzeitig auch Unwahres oder Unerkanntes. Zum Beispiel ist wahr, dass rund um den Globus produzierende Konzerne (die sogenannten multinationalen Konzerne), sich niedrigere soziale und Umweltstandards in den Entwicklungsländern zu Nutze machen, um ihre Profite zu maximieren. Grundlegende Menschenrechts-, Arbeitsschutz- oder Sicherheitsstandards werden dabei nicht eingehalten. Und wir, in den Industrieländern als Verbraucher, profitieren von den niedrigeren Verbraucherpreisen von Textilien, Rohstoffen, Chemie- und Stahlerzeugnissen usw. Zugleich ist unwahr, dass wir für den Rückstand in der Entwicklung dieser Länder allein verantwortlich sind. Das hat historische Gründe, die man nicht einfach vom Tisch wischen kann. Die erwähnte Organisation Oxfam, die sich mit Ungleichheit beschäftigt, merkt zum Beispiel an: „Nur drei von hundert jungen Erwachsenen, die im Jahr 2000 in einem Land mit einem niedrigen Wohlstandsindikator geboren wurden, besuchen laut den Vereinten Nationen eine Hochschule. In reichen Ländern sind es 55.“ [obiger Link, S. 3]
Die lange Phase der Herausbildung eines Staatswesen wie in den Industrieländern hat es in vielen Entwicklungsländern nicht gegeben, Korruption, Vetternwirtschaft, religöse und ethnische Bevorzugungen gehören zum Alltag vieler dieser Staaten. Dazu gehört auch die Meinung in der Bevölkerung, dass man, wenn man eine staatliche Dienststelle ergattert hat, es „geschafft“ hat und sich ausruhen kann. Dabei könnte ein starker, effizienter Staat in Entwicklungsländern viele Probleme lösen und zu einer schnellen Entwicklung beitragen. Der chinesische Staat und die sogenannten asiatischen „Tigerstaaten“ haben es vorgemacht.
Möglichkeiten den Entwicklungsabstand zu verringern
Agnus Deaton, Nobelpreisträger für Ökonomie 2015 aus den USA, hat in seinem Buch „Der große Ausbruch – von Armut und Wohlstand der Nationen“ [Klett-Cotta Stuttgart 2017, 462 Seiten, 26,00 Euro] u.a. eine Resümee der Entwicklungshilfe der Industrieländer gezogen: “Dies ist das große Dilemma der Entwicklungshilfe. Sind die »Bedingungen für Entwicklung« gegeben, so wird keine finanzielle Hilfe benötigt. Sind die Bedingungen der Entwicklung abträglich, so ist finanzielle Hilfe nutzlos und wird sogar Schaden anrichten, wenn sie dazu beiträgt, die ungünstigen Bedingungen aufrechtzuerhalten.“ [Ebendort, S. 347]
Außerdem konstatiert Deaton, dass Entwicklungshilfe nicht nur ineffizient ist, sondern auch ungleich verteilt wird. In den USA geht Entwicklungshilfe Hand in Hand mit der Außenpolitik. „Beispielsweise wurde sie eingesetzt, um im Kalten Krieg Verbündete gegen den Kommunismus zu unterstützen, Ägypten und Israel für die Vereinbarung von Camp David zu belohnen oder den Wiederaufbau des Irak und Afghanistans zu finanzieren. Manchmal werden die Empfängerländer verpflichtet, mit den Hilfsgeldern Güter aus dem Geberland zu kaufen (darunter auch Lebensmittelhilfe) oder die Hilfsgüter mit Schiffen aus dem Geberland zu befördern. Es gibt Schätzungen, die besagen, dass 70 Prozent der Hilfe aus den Vereinigten Staaten nie in den Empfängerländern eintreffen, zumindest nicht in bar.“ [Ebendort, S. 353]
Trotz dieser negativen Seiten der Entwicklungshilfe darf man auch nicht ganz das Kind mit dem Bade ausschütten. Zwei Gebiete bestehen, bei denen Entwicklungshilfe geholfen hat, auf gesundheitlichem und auf bildungsmäßigem Gebiet. Schon die Anstrengungen des „Urwaldarztes“ Albert Schweizer vor ungefähr 100 Jahren zielten auf eine Verbesserung der gesundheitlichen Betreuung der Bevölkerung in der Gegend von Lambaréné (Gabun). Die Mittel für Entwicklungshilfe könnten viel effizienter eingesetzt werden, wenn sie stärker in die Bildung in die Entwicklungsländer fließen würden. Wie die Autoren Reiner Klingholz und Wolfgang Lutz von „Wer überlebt? – Bildung entscheidet über die Zukunft der Menschheit“ [Campus Verlag 2016, Frankfurt am Main] schätzen, fließen nur zwei bis vier Prozent der Entwicklungshilfe in die Basisbildung der Entwicklungsländer. [Ebendort, S. 16] Aber ohne Bildung der Weltbevölkerung sind die Zukunftsprobleme der Welt nicht zu meistern.
Gleichwohl Entwicklungshilfe allein ist auf keinem Fall geeignet, die Ungleichheit in der Welt zu überwinden.
Ein sehr langfristiger und steiniger Weg
Der Kapitalismus entwickelt die Länder und Regionen ungleichmäßig. Das hat er schon immer getan und wird sich in dieser Beziehung auch nicht ändern. Dennoch wirken solche gewaltigen Ungleichheiten in der Welt, in der fast die Hälfte der Weltbevölkerung arm ist, sehr destruktiv. Eine Folge davon ist, dass die Entwicklungsländer zunehmend unregierbar werden. Der Migrationsdruck steigt, die Menschen in den Entwicklungsländern sehen keine Perspektive für sich. Wie schon festgestellt, wird Entwicklungshilfe die krasse Ungleichheit nicht beseitigen. Auch ein überproportionales Wirtschafts-Wachstum kommt nicht in Frage, weil es die Ressourcen der Erde überstrapazieren würde. Es bleibt ein langer, steiniger Weg der allmählichen Verbesserung, bei dem die Industriestaaten eine Vorbild- und eine Führungsfunktion übernehmen müssen.
Diese Führungsfunktion zeigt sich zum Beispiel beim Klimawandel. Die Industriestaaten stoßen zu viel klimaschädliches CO2 aus und müssen deshalb die Emission dieses Gases verringern. Die Einigung auf dieses Vorhaben und die gerechte Verteilung der Lasten innerhalb der Industriestaaten, darin drückt sich ihre Führungsfunktion aus.
Im 21. Jahrhundert steht aber noch eine weitere Aufgabe an: die Verringerung des Materialverbrauchs für Konsum- und Produktionsgüter. Bei der gegenwärtigen Größe des Materialverbrauchs machen wir unseren Planeten kaputt. Es wird viel zu viel verschmutzt, verunreinigt, abgebaut. Auch in diesem Bereich müssen die Industrieländer vorangehen, denn auch hier sind sie die Verursacher und müssen einen gangbaren Weg für die Zukunft aufzeigen. Jeder Bürger, der sich sowohl für Klimaschutz als auch für einen behutsameren Umgang mit Ressourcen einsetzt und sich dafür engagiert, tut also etwas, um auch die Ungleichheit in der Welt abzubauen.