Die Menschheit muss sich in diesem Jahrhundert einer Reihe von weltumspannenden Problemen stellen, z.B. die Klimakrise oder die überzogene Ressourcennutzung. Zu den großen Problemen gehört auch die Verschmutzung der Welt durch Plastik-Abfälle.
Die ARD sendete zu letzterem am 20.06.2022 eine aufschlussreiche Dokumentation „Die Recyclinglüge“. Man kann diesen fünfviertel-stündigen Dokumentarfilm auch in der Mediathek anschauen [ARD-Mediathek/spannende Recherche].
Halt, werden viele Leser sagen, wieso ist Plastikverschmutzung bei uns ein Problem, das ist es doch nur in Entwicklungsländern, wir haben die gelbe Tonne und den grünen Punkt, wir recyceln! Wir müssen sogar dafür bezahlen.
Stimmt, sagt die ARD-Dokumentation, bis auf eine Tatsache: Wir recyceln zu wenig. Nur 5 bis 7 Prozent der Materialien aus der gelben Tonne können richtig recycelt und als Plaste wiederverwendet werden. Nicht etwa, weil wir nicht mehr wollen oder die Arbeiter in den Plastikverwertungsbetrieben zu „faul“ sind, sondern weil nicht mehr möglich ist. Da gibt es beschichtete Plastikverpackungen, Verpackungen aus verschiedenen Materialien, sehr „schmutzige“ Verpackungen, die recycelt keinesfalls für Lebensmittel geeignet sind. Überhaupt stellt diese Branche besondere Anforderungen, und recycelte Plaste darf aus hygienischen Gründen kaum bei ihr eingesetzt werden. Aber gerade die Lebensmittelindustrie hat einen hohen Bedarf an sauberer Plastik.
Nun kann man einwenden, dass meist Politiker die Recyclingquote in Deutschland viel höher angeben, mit bis zu 45 Prozent. Das ist nur insoweit richtig – wie auch die ARD-Dokumentation klarstellt – dass es sich bei dieser Quote nicht um echtes Recycling, sondern um sogenanntes „Down-recycling“ handelt, niederes Recycling. Aus Plastik-Verpackungen werden z.B. Eisenbahnschwellen hergestellt. Die sind zwar in der Herstellung teurer als die ursprünglichen Eisenbahnschwellen, aber mit dem finanziellen Zuschuss aus dem grünen Punkt kann man sie doch verkaufen.
Was passiert aber aus den restlichen 65 % des nicht verwertbaren gelben Tonnen Inhalts? Der geht als aufbereiteter thermischer Rohstoff an Zementfabriken, die einen sehr hohen Energiebedarf haben, wird also verbrannt. Bei der Verbrennung müssen Filter eingesetzt werden, damit man keine schädlichen Gase ausstößt. Da aber die Zementfabriken nicht alles abnehmen, bleibt ein Überrest, der als Müllexport ins Ausland geht. Wobei bis 2018 China ein Großabnehmer war. Als dieses Land seine Pforten schloss, sprangen andere Länder ein, Malaysia, die Philippinen, Thailand, Kambodscha, Indonesien. Schließlich die Türkei. Aber mit den Müllexporten wird es immer schwieriger. Die meisten Länder wollen ihn nicht haben. Übrigens gilt exportierter Plastikmüll per Gesetzgebung in Deutschland auch als recycelt. Und das ist wirklich ein skandalöser Zustand: Ein Industrieland, das sich auf seinen Umweltschutz etwas zu gute hält, exportiert Plastikmüll in Entwicklungsländer. Außerdem sind meist mafiöse Organisationen beim Müllexport beteiligt, die illegale Mülldeponien in ihren Ländern errichten.
Alles in allem ein sehr unbefriedigender Zustand. Und der geht, wie wie Helmut Maurer (seit 15 Jahren in der Generaldirektion Umwelt, EU-Kommission, mitarbeitend) sagt, seit 30 Jahren so:
„Das, was die Bürger immer glauben, was Recycling denn eigentlich sei, nämlich der Ersatz virginer Rohstoffe in der Produktion, der findet nur marginal statt. Und das muss uns doch erstaunen, Recycling ist nicht das, was wir glauben, es ist nicht eine Methode, um virgine Rohstoffe einzusparen, und wir sprechen im Jahr 2021 – den gelben Sack gibt es seit den 90er Jahren –, und wir haben es nicht geschafft, mehr als 7 % virginer Materialen in hoher Qualität zu ersetzen durch Rezyklate. Das ist für mich ein Zeichen, dass die Ziele, die wir verfolgt haben, nicht erreicht wurden, und auch nicht erreicht werden können.“ [ARD-Mediathek/spannende Recherche]
Wo ist der Ausweg aus dem Plastikmüll-Dilemma?
Der letzte Satz aus dem Zitat von Helmut Maurer weist auf das Problem hin: „Das ist für mich ein Zeichen, dass die Ziele, die wir verfolgt haben, nicht erreicht wurden, und auch nicht erreicht werden können.“ [Hervorhebung Seb. Solt.]
Das Plastikmüll-Problem ist eine generelle, bisher unlösbare Angelegenheit! Im Labor lässt es sich relativ einfach lösen. So hatte das US-amerikanische Startup-Unternehmen Terracycle an die große Glocke gehängt, dass es Gießkannen, Seifenschalen usw. aus recyceltem Plastikgranulat herstellen kann und dass die Verbraucher nur richtig trennen müssen, um diesen Weg zu ermöglichen. Flugs erklärten sich viele Verbraucher freiwillig bereit, diese Arbeit zu übernehmen. Und eilends schlossen große Firmen Verträge mit Terracycle und druckten dessen Logo auf ihre Plastikverpackungen, wie bei uns den grünen Punkt. Selbst auf Verpackungen, die beim besten Willen nicht als recycelbar zu erkennen waren, erschien das Logo. Doch wie die ARD-Dokumentation zeigte, war das Augenauswischerei. Im Labor ist recyceln einfach möglich, großtechnisch ist es viel, viel zu teuer. Da nimmt man lieber die unmittelbar aus Erdöl hergestellte Plastik.
In Entwicklungsländern ist das Plastikmüll-Problem noch verschärft, denn da gibt es oftmals keine Mülltrennung und keine Plastiksammlung. Folge ist, dass 90 Prozent des weltweit in die Weltmeere eingetragenen Plastikabfalls aus zehn Flüssen stammen, von denen sich acht in Asien und zwei in Afrika befinden.
Der einzige Weg, die Aufgabe irgendwie zu lösen, besteht im Augenblick in der Vermeidung von Plastikverpackungen. Und da bedarf es staatlicher und sogar weltweiter Vorgaben. Die EU-Vorgabe, Plastik-Trinkhalme und Einweggeschirr aus Plastik zu verbieten, ist nur ein kleiner Schritt, der aber in die richtige Richtung weist. So könnte es eine Vorschrift geben, dass alle Seifen- Kosmetikartikel und Reinigungsmittel in recyceltem Plastik angeboten werden müssen. Und dass, weiter, Plastikverpackungen durch Papier oder andere, umweltfreundlichere Materialien zu ersetzen sind, d.h. man gibt ein Prozentsatz vor, bis zu dem das zu geschehen hat, bzw. setzt Anreize dafür. Außerdem muss natürlich den Entwicklungsländern geholfen werden, ein Plastiksammelsystem zu installieren.
Der Aufschrei der Industrie ist voraussehbar…
Die Industrie stellt sich die „Lösung“ des Plastikmüll-Problems anders vor. Sie setzt weiter, wider besseren Wissens, auf die Idee der Kreislaufwirtschaft. Dazu werden, wie auch die ARD-Dokumentation offen legt, teure Image-Kampagnen ins Leben gerufen. So die 2019 gegründete Allianz gegen Plastik-Müll, denen weltweit fast 30 Firmen angehören, so die großen Kunststoff-Hersteller wie Dow Chemical, Exxon, BASF.
Die Versprechen der Allianz klingen vertraut: Mit Geld und gutem Willen ist die Kreislaufwirtschaft machbar. Millionen Tonnen Plastik-Müll sollten an verschiedenen Orten gesammelt werden. Sie wollte die am stärksten belasteten Flüsse der Welt von Plastik-Müll befreien, angefangen beim Ganges. Doch wenn man vor Ort kontrolliert: Die regionalen Projekte wurden stillschweigend aufgegeben, wie auch wieder die ARD-Dokumentation zeigt. Die Plastik-Kreislaufwirtschaft ist eben doch nicht so einfach.
Doch falls man die Wahrheit ausspricht, dann kommt ein Aufschrei von der Plastik- und der Verwertungsindustrie, so wie auf den ARD-Beitrag. Der Chefredakteur Christian Preiser von k-aktuell.de vom Kunststoff Web titelte in seinem Beitrag dazu: „Totalausfall – die ARD-Dokumentation »Die Recyclinglüge« ist Effekthascherei ohne Erkenntnisgewinn“ . [https://www.k-aktuell.de/blog/totalausfall-ard-dokumentation-die-recyclingluege/] Und das Entsorgungsmagazin „EM“ von Klaus Henning Glitza schreibt, dass der BDE (Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Kreislaufwirtschaft) zu dem ARD-Beitrag meint: „Falsch, unvollständig und kontraproduktiv“ [https://e-mag.press/falsch-unvollstaendig-und-kontraproduktiv/]. Diese Einschätzungen geschehen nach dem Muster: Wenn man schon nichts konkretes dagegen sagen kann, dann muss man eben pauschal die Sache heruntermachen.
Es bleibt dabei, die Lösung des Plastik-Müll-Problems muss übergeordnet oder international erfolgen. Die Industrie möchte am liebsten weitermachen wie bisher und die Plastikherstellung aus Erdöl bis 2050 um das Vierfache steigern.
Zuletzt nochmals den bereits zitierten Helmut Maurer:
„Die Richtung, die wir weiterverfolgen müssen, ist Abfallvermeidung. Es ist doch klar für jeden, dass es so nicht weitergehen kann. Wenn es so nicht weiter gehen kann, dann braucht es politische Eingriffe, die vielleicht einigen weh tun werden. Aber wir können nicht, um einigen nicht weh zu tun, die ganze Menschheit aufs Spiel setzen.“