Natürlich vom Corona-Virus. Vermutlich wird der aber in ein bis zwei Jahren, wenn ein Impfstoff dagegen entwickelt wurde, fast vergessen sein. Darüber hinaus gibt es aber Angst-Faktoren, die längerfristig wirken und die so grundlegend sind, dass es sich lohnt, sich mit ihnen gründlicher auseinanderzusetzen. Das ist in meinen Blogbeiträgen „Woher kommen die derzeitige Unsicherheit und Angst in der Welt“ und die „Die goldenen Zwanziger – oder doch nicht so golden?“ bisher geschehen. Dieser dritter Blogbeitrag soll sich ebenfalls mit diesem Thema beschäftigen, aber aus einer neuen Sicht.
Die Hauptfrage ist, warum kommen manche Leute dazu, besonders in Randgebieten und auf dem Land, sich von der Politik vernachlässigt zu fühlen? War denn das vor 20 oder 30 Jahren anders? Sicher gab es da auch Landstriche, in denen die Politik sich nicht besonders engagierte. Aber es muss doch irgendein Faktor dazugekommen sein, der damals nicht existierte.
Hören wir, was andere Autoren zu diesem Problem sagen, zum Beispiel Henrik Müller, Professor für wirtschaftspolitischen Journalismus an der Technischen Universität Dortmund. Er schreibt: „Die Gründe für den Verlust des Vertrauens in Eliten und Institutionen sind in den vergangenen Jahren intensiv debattiert worden: der Crash von 2008 und die seither schwache Lohnentwicklung; die Globalisierung und ihre Verlierer; das Unvermögen, langfristige politische Projekte zu managen, etwa den Klimawandel wirksam zu bremsen oder die öffentliche Infrastruktur zu erneuern – all das mag eine Rolle spielen. Entscheidend aber ist ein anderer Faktor: der Aufstieg der sozialen Medien.“ [manager magazin 2020/2 S.94]
Auch wenn der Autor im zitierten Absatz mit dem Aufstieg der sozialen Medien Ursache und Wirkung verwechselt (in seinem neuen Buch: Kurzschlusspolitik, Piper-Verlag 2020, 256 Seitern, 22,- Euro macht er das bestimmt nicht), so ist es wichtig, den Gründen, die er oben anführt, genauer zu untersuchen. Er nennt u.a. den Crash von 2008 und die seither schwache Lohnentwicklung. Wir wollen mal versuchen, die schwache Lohnentwicklung seit dem Crash von 2008 quantitativ genauer zu fassen. Dazu wurde die reale Lohnentwicklung in den G7-Staaten seit 1990 statistisch ausgewertet. (Von den G7-Staaten liegen die umfassendsten statistischen Informationen vor.) Siehe folgende Grafik:
Die reale Lohnentwicklung ist natürlich ein Durchschnittswert aller Löhne eines Landes. Also kann die Aussage auch dadurch noch verfälscht werden, dass die Löhne in den oberen Lohngruppen stärker steigen als in den unteren, was hier nicht abgebildet wird. Außerdem ist Arbeitslosigkeit nicht einbezogen. Dennoch ist die Grafik interessant, weil sie einige grundsätzliche Aussagen zulässt.
Tatsächlich hat es seit etwa 2008 (oder 2010, weil dieses Jahr in der Grafik ausgewiesen ist) eine Lohnabschwächung seit 1990 gegeben. Das gilt nicht für Deutschland, da stagnierten die Löhne eher von 1995 bis 2010. Danach erhöhten sich die Löhne wieder. Siehe dazu auch meinen Blogbeitrag „Womit die Deutschen in den letzten 20 Jahren am meisten unzufrieden sind“, vom Dezember 2018. Ganz besonders gilt die Lohnabschwächung seit 2010 aber für Großbritannien, wie aus der Grafik ersichtlich. (Könnte das u.a. ein Grund für den Brexit sein?) Allerdings hatte es vorher in diesem Land einen überproportional starken Lohnanstieg gegeben.
Was auch in der Grafik auffällig ist, dass in Italien und Japan sich seit 1990 kaum die Löhne verändert haben. Dieses Stagnieren in der Lohnentwicklung (die gleichzeitig mit einer wirtschaftlichen Stagnation verbunden ist) wird zumindest in Italien von einer großen gesellschaftlichen Unzufriedenheit begleitet. – Dieses sollte allen Anhängern von wirtschaftlichem Nullwachstum als Lösung unserer ökologischen Probleme zu denken geben. Es muss eben wirtschaftliches Wachstum mit ökologischer Verträglichkeit kombiniert werden.
Erstaunlich ist nach dieser Grafik, dass in den USA nur von 1990 bis 1995 eine ziemliche Lohnstagnation gab, sonst ging es ziemlich kontinuierlich aufwärts. Aber wie gesagt, Arbeitslosigkeit ist in dieser Statistik nicht enthalten. Und bekannt sind ja etliche Arbeitsplätze in den USA in dieser Zeit weggebrochen.
Wenn man diese Grafik zur Lohnentwicklung mit der Grafik zur Produktivitätsentwicklung in den letzten 50 Jahren vergleicht, s. mein Blogbeitrag vom Januar 2020: „Die goldenen Zwanziger – oder doch nicht so golden?“ , so sieht man, dass der reale Lohnzuwachs in etwa der Arbeitsproduktivitätssteigerung entspricht. Siehe nächste Grafik:
Denn 0,93 % jährliches Wachstum der Arbeitsproduktivität entsprechen in neun Jahren annähernd 7,7 Prozent Zuwachs. Das ist etwa soviel, wie auch der Real-Lohn in den G7-Staaten zugenommen hat. Wenn also, der Zuwachs der Arbeitsproduktivität weiter abnimmt, so muss man sich schon Sorgen um die allgemeine gesellschaftliche Zufriedenheit machen.