Nochmals zum Buch von Oliver Stengel „Suffizienz“.
Die Menschheit steht an einer Schwelle zu einem neuen Zeitalter, das alle in den vergangenen Jahrhunderten gewonnenen Errungenschaften in Frage stellt. Der Einschnitt, der uns allen droht, ist vielleicht vergleichbar mit dem Untergang des Römischen Reiches, nach dem erst einmal ein kultureller Rückschritt einsetzte. Ich will hier nicht als Kassandra mit apokalyptischen Vorahnungen glänzen, aber die Schlussfolgerungen, die aus dem zuletzt besprochenen Buch „Suffizienz“ von Oliver Stengel zu ziehen sind, lassen eine schön gefärbte Zukunft nicht zu. Die Gefahr geht von der Umwelt oder unserer Natur aus, die wir überstrapazieren. Wir müssten, um dieser Gefahr zu entgehen, sofort unseren Ressourcen- und Energieverbrauch um 50 bis 70 % drosseln, um der Umwelt die Gelegenheit zu geben, sich zu erholen. Da dies in absehbarer Zeit nicht passieren wird, ist es zunächst unvermeidlich, dass wir in eine Katastrophe hineinsteuern.
Eines der großen Vorzüge von „Suffizienz“ besteht darin, dass der Autor die möglichen Auswirkungen dieser ökologischen Krise für die menschliche Gesellschaft aus der Literatur zusammenträgt und beschreibt (s. 4. Kapitel Prognose: Bonjour Tristesse S. 103 – 126) – Nebenbei gesagt, ob wir jemals wieder aus dieser schlimmen Situation, in die wir uns gegenwärtig hineinmanövrieren, herauskommen, steht in den Sternen. Denn für die menschliche Gesellschaft als ganzes existierte noch nie eine solche Zeitetappe. Gleichwohl gab es auch in der Vergangenheit übergenutze Flecken Erde, auf dem ein Stamm oder eine große Gruppe von Menschen nicht mehr leben konnte. Diese begrenzte Menschenanzahl versuchte dann, in andere Gegenden auszuweichen. Manchmal ging das, manchmal wurde das von kriegerischen Auseinandersetzungen begleitet.
Und hier haben wir schon gleich ein Problem der neuen Epoche: Migrationsströme, die uns heute bereits zu schaffen machen, werden nicht ab, sondern zunehmen. Nicht alle Regionen der Welt werden gleichermaßen vom Klimawandel und der Übernutzung der Ressourcen betroffen sein. Die ärmeren Länder haben nicht so viel finanzielle Möglichkeiten, um sich dagegen zu wappnen. Und es liegt auf der Hand, dass sich Menschen aufmachen werden, um in Gegenden zu kommen, wo es besser ist. Erst recht, wenn die armen Länder mit ihren Problemen allein gelassen werden.
Mit den Migrationsströmen und mit dem Ausweichen von ganzen Menschengruppen von ihren angestammten Gegenden wird die Kriegsgefahr wachsen. Die Deutschen können davon ein Lied singen, denn die Nationalsozialisten suggerierten ihnen die Worte von dem „Lebensraum im Osten“, weshalb ein Krieg mit verheerenden Folgen vom Zaun gebrochen wurde. Einher mit diesem Krieg gingen solch starke nationalistische Parolen wie die von der „herrschenden Rasse“ und der Minderwertigkeit anderer Völker. Kriege werden meist durch nationalistische „Gesänge“ oder Sprüche vorbereitet, und so gesehen ist das gegenwärtige Überschwappen einer nationalistischen Welle über Europa und die USA kein gutes Omen.
Wir haben in Europa und in anderen Industriestaaten in den letzten hundert Jahren trotz Rückschlägen einen Ausbau der parlamentarischen Demokratie und demokratischer Institutionen erlebt. Oliver Stengel weist u.a. darauf hin, dass gerade solche demokratische Errungenschaften bei einer ökologischen Krise in Gefahr sind, aufgelöst oder abgewickelt zu werden: „Im Verlauf des 21. Jahrhunderts könnte sich wohl eine Rückkehr zur Politik vollziehen, jedoch in Form einer Abkehr von der Demokratie, welche die Gestalt eines autoritären Leviathans, eventuell gar die einer totalitären Diktatur annehmen kann. Damit droht die Freiheit des Einzelnen von mehreren Seiten beschnitten zu werden: Zum einen können die entfachten Naturgewalten direkt auf seine Lebensführung zugreifen oder indirekt, durch steigende Preise (Geld) oder durch schärfere bürokratische Normen und die Überwachung ihrer Einhaltung (Macht).“ [Oliver Stengel: Suffizienz. Die Konsumgesellschaft in der ökologischen Krise. oekom München, 2011, S. 120]
Gleichzeitig mit dem Abbau der Demokratie könnte auch ein Abbau des Wohlfahrts- oder Sozialstaates einhergehen, denn dieser gründete sich auf zunehmendes materielles Wachstum. Wenn aber die Ressourcen und die Energie teurer werden, dann werden auch die staatlichen Einnahmen nicht mehr so fließen wie bisher, meint Stengel, der sich auf andere Autoren stützt. Gewerkschaften und andere soziale Verbände und auch die unteren Einkommensschichten werden sich damit aber nicht so einfach abfinden, und das „revolutionäre Potential“ in der Bevölkerung könnte zunehmen. Revolutionen bedeuten aber stets größeres Chaos und abnehmende Regierbarkeit.
Bevor ich die Liste der möglichen negativen Auswirkungen einer starken ökologischen Krise verlängere, kommen wir zu den Lösungsmöglichkeiten der Krise.
Für einige Leute, besonders linken Milieus, ist die Sache ganz einfach, man muss den Kapitalismus oder die „Logik des Kapitals“ abschaffen, und dann sind wir der Lösung viel näher. Sie ergibt sich gewissermaßen fast von allein. Diese Leute setzen die Abschaffung von Kapitalismus gleich mit Abschaffung von Macht. In den meisten Gesellschaften auf der Erde lässt sich „Macht“ aber nicht einfach abschaffen, sondern es wird in ihnen immer einen Kampf um die Macht oder ein Machtzentrum geben.
Andere Menschen plädieren für eine „Diktatur“ der Wissenschaft. Die Wissenschaft soll bestimmen, was für den Konsum produziert werden darf und was nicht. Politiker seien doch viel zu abhängig von ihren Wählern, als dass sie sich mit Verboten durchsetzen könnten. Mal abgesehen, dass es die Wissenschaft nicht gibt, sondern dass es immer einzelne Wissenschaftler sind, die uns ihre Ansichten mitteilen, ist auch die Masse der Wissenschaftler viel zu inhomogen – es gibt darunter solche, die sich profilieren wollen, oder ihre Meinung besonderen Nachdruck verleihen, und solche, die zurückhaltender sind, aber deswegen nicht weniger Recht haben könnten. Und außerdem sind auch Wissenschaftler von Geldmitteln für ihre Forschung abhängig. Die Diktatur der Wissenschaft (in der beschriebenen Weise) würde nicht funktionieren. – Die Wissenschaft hat ihren Platz in der Gesellschaft, aber nicht mit diktatorischer Funktion.
Wieder andere Menschen plädieren dafür, dass das ökologische Bewusstsein bei den Menschen in den Industrieländern wachsen wird (denn sie sind ja die Hauptverursacher des ausufernden Konsums) und dass über Mechanismen wie Vorbild- und Trendsetterfunktion bestimmter Schichten, (wie Schauspieler, Journalisten von „Leitmedien“, Kommentatoren, Prominente) ein neuer Zeitgeist und ein Umschwung im Verbrauchsverhalten der Konsumenten herbeigeführt wird. – Dieser Meinung ist auch der Autor Oliver Stengel, dessen Buch wir zum Ausgangspunkt unserer Betrachtungen nahmen. Nun ist das mit dem Bewusstsein so eine Sache. Es ist wichtig, um eine Einsicht zu bewirken, aber es versagt meist, wenn es einen „neuen Menschen“ hervorbringen will, wie auch schon die kommunistische Ideologie erfahren musste.
Zur Lösung der ökologischen Krise gehöre ich der Gruppe an, die sich für regulatorische Bestimmungen ausspricht, und das in der Regel weltweit. Der Ausstoß von Kohlendioxid beispielsweise muss weltweit durch verbindliche internationale Abkommen begrenzt werden, bei der auch ein gewisser Zwang auf widerstrebende Staaten nicht auszuschließen ist. Wie das im einzelnen aussieht, ob über eine CO2-Steuer oder über Zertifikate, sei dahingestellt. Es muss nur wirksam und bindend sein. Dasselbe betrifft die Förderung von Bodenschätzen, die limitiert werden muss, die Fischerei usw.
Das hat natürlich soziale Auswirkungen, denn die Preise für Verbrauchsgüter werden damit steigen. Aber wir müssen uns vor Augen halten, es geht um nichts geringeres als die Existenz der Menschheit…
Auf die größte Schwierigkeit bei diesem Lösungsansatz hat schon Oliver Stengel hingewiesen, es ist das Problem des Trittbrettfahrertums. Manche Länder könnten versucht sein, aus internationalen Vereinbarungen auszuscheren oder sich erst gar nicht anzuschließen, unter der Losung: Was wir mit unseren Bodenschätzen machen, entscheiden wir allein. Sie würden dann zu allem Überfluss noch von der Zurückhaltung anderer Staaten profitieren. Gerade bei der gegenwärtigen aufkommenden nationalen Welle ist solch eine Versuchung groß. Man muss nicht betonen, dass internationale Vereinbarungen zum Umweltschutz eine gewisse solidarische Haltung erfordern. Aber gerade diese ist bei rechten und rechts-nationalen Parteien auf internationaler Ebene wenig vorhanden.
Und hier zeichnet sich eine Konfliktlinie ab, die heute schon besteht, aber in der ökologischen Krise sich verschärfen wird. Die eine Seite wird zu Zugeständnissen und zu solidarischer Haltung bereit sein, schon deshalb, um die Krise zu lösen. Die andere wird sich national-egoistisch verhalten, und für die eigene Bevölkerung maximale Vorteile ohne Rücksicht auf andere Völker fordern.
Dieser Konflikt könnte sich verschärfen, wenn erst einmal die ökologische Krise weiter voranschreitet, und die Lebensbedingungen sich verschlechtern. Auch das bemerkt Stengel in seinem Buch, in dem er sich auf den Soziologen Ronald Inglehart bezieht: „Ändern sich die Lebensumstände, ändern sich die Werte. […] Und ändern sich die Werte, ändern sich die politischen Einstellungen.“ [Oliver Stengel: Suffizienz. s.o. S. 121] – Wahrlich keine schöne Verheißungen für die Zukunft!