Die Diskussion zu Verteilungsfragen, die mit der Pareto-Verteilung eröffnet wurde, wird damit fortgesetzt.
Unzufriedenheit in einem Volk gibt es immer. Und Anlässe dazu gibt es ja auch genug. Ein Teil der Bevölkerung in Deutschland ist unzufrieden mit der Einwanderung, die ihrer Meinung nach zu groß ist oder ganz gestoppt werden sollte. Andere Bürger finden das Verhalten der Regierung und des Verkehrsministers in der Dieselaffäre skandalös. Man könnte die Aufzählung unendlich fortsetzen.
Damit Politikern, besonders den regierenden, die Unzufriedenheit nicht über den Kopf wächst bzw. sie einen Kompass im Meer der Unzufriedenheit haben, orientieren sie sich gern am Wirtschaftswachstum. Und nach ihrer Meinung gäbe es ja diesbezüglich in Deutschland keinen Nährboden für gravierende Unzufriedenheit, weil ja die Wirtschaft wächst, und das schon seit mindestens der Wiedervereinigung. Dazu siehe nachfolgende Grafik:
Man kann an dieser Grafik allerhand ablesen. Da sind die wachstumsschwachen Jahre von 2001 bis 2005. Damals wurde Deutschland wegen seiner Wachstumsschwäche als kranker Mann Europas tituliert. Ebenfalls lässt sich der starke Konjunktureinbruch 2009 (dem Jahr der Finanzkrise) erkennen, der aber in den folgenden Jahren wieder wettgemacht werden konnte. – Alles in allem sieht diese Grafik für ein entwickeltes Industrieland wie die Deutsche Bundesrepublik nicht schlecht aus. Von 1991 (dem Jahr nach der Wiedervereinigung) bis 2017 ist das reale Bruttoinlandsprodukt um reichlich 40 % gewachsen. Also alles paletti? – Nicht ganz, denn die reale Lohn- und Gehaltsentwicklung hat mit diesem Wirtschaftswachstum nicht Schritt gehalten. Dazu die nächste Grafik:
Auch aus dieser Grafik lässt sich ebenfalls allerhand ablesen. Der reale Lohnindex hat mit dem realen Bruttoinlandsprodukt (BIP) seit der deutschen Wiedervereinigung keinesfalls Schritt gehalten. Bis 2013 gab es fast keine Entwicklung bei den realen Lohn- und Gehaltszuwächsen. Sicher sind die Löhne und Gehälter nominell gestiegen, aber wenn man die Inflationsrate berücksichtigt, dann traten die Löhne und Gehälter fast auf der Stelle. Erst in den letzten Jahren, seit 2014, änderte sich das.
Es wird gern gesagt, Deutschland sei international sehr wettbewerbsfähig aufgrund der Qualität seiner Produkte, und dass es dadurch seine Exporte kräftig steigern konnte. Aber das ist nur die halbe Wahrheit, die andere Hälfte der Wahrheit ist, dass eine starke „Lohnzurückhaltung“ oder „Lohndrückerei“ oder wie man es sonst nennen soll, über fast zweieinhalb Jahrzehnte bestanden hat und zur internationalen Konkurrenzfähigkeit außerordentlich beitrug. Überhaupt, Deutschland hätte nicht so stark wirtschaftlich wachsen können, wenn es nicht eine starke Exportwirtschaft gehabt hätte. Aus dem Inland kamen aufgrund der stagnierenden Löhne und Gehälter lange keine Wachstumsimpulse.
Falls das zuletzt Gesagte richtig ist, müsste sich auch die Außenhandelsquote gemessen am BIP in dem betrachteten Zeitraum vergrößert haben.
Kontrollieren wir das mit folgender Grafik:
Man sieht die Außenhandelsquote in Deutschland hat sich von 1991 bis 2015 von ca. 40 % auf 70 % vergrößert. Also bestätigt diese Tatsache das zuvor Gesagte.
Diese starke Exportwirtschaft bedingt, dass Deutschland ein großes Auslandsvermögen aufgebaut hat. Und die Autorin Ulrike Herrmann kommt zu der Einschätzung: „ Dieser Kurs ist nicht nur widersinnig, weil er niemandem nützt. Die deutsche Politik ist vor allem erstaunlich, weil die Gefahren für Deutschland selbst so extrem sind. Falls der Euro auseinander fliegt, wären die Deutschen die größten Verlierer: Die neue D-Mark würde rasant aufwerten, so dass das Auslandsvermögen vernichtet und die Exportindustrie schwer geschädigt würde.“ [Ulrike Herrmann: Der Sieg des Kapitals, Westend Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2013, 3. Auflage, S. 230] – Mit anderen Worten, die Lohnzurückhaltung über fast zweieinhalb Jahrzehnte wäre in einem solchen Fall „für die Katz’“ gewesen.
Kommen wir zurück zu Verteilungsfragen und zur Unzufriedenheit der Deutschen. Interessant ist die Frage, ob dieses Lohn- und Gehaltsverharren für alle Schichten der Bevölkerung zutrifft. Dazu noch eine Grafik:
Diese Grafik reicht zwar nur bis 2010, aber sie ist dennoch sehr aussagefähig. Während die Löhne und Gehälter der allermeisten Deutschen seit 1991 real bis 2014 stagnierten, erhöhten sich seit etwa 1995 ganz außerordentlich die Gehälter der Vorstandsmitglieder und Vorstandsvorsitzenden der 30 Dax-Unternehmen (und wahrscheinlich auch von anderen Aktien-Unternehmen). Ablesbar an der Relation zu den Personalkosten je Arbeitnehmer, die 2010 bei den Dax-Unternehmen auf das 50-fache stiegen.
Aus der Quelle, aus der die Grafik entnommen ist, wird dazu festgestellt: „Denn durchaus fragwürdig ist es, worauf sich ein Bonus in Höhe von 80 Mio. Euro für einen Händler der Deutschen Bank zurückführen lässt oder warum ein Vorstandsvorsitzender trotz bescheidender Erfolgsbilanz mit 60 Mio. Euro abgefunden werden muss. Im Jahr 2013 geriet die Deutsche Bank unter anderem deswegen in die öffentliche Diskussion, weil sie bei einem Nettogewinn von ‘lediglich’ 665 Mio. Euro Bonuszahlungen in Höhe von 3,2 Mrd. Euro veranlasste. Dies führte, gerade auch mit Blick auf die staatliche Rettung von deutschen Großbanken im Zuge der Bankenkrise, zu einiger Empörung in der Gesellschaft, in der Politik bis hin zur Wirtschaft. […] Diese Entwicklungen, insbesondere der Diskrepanzen (Widersprüchlichkeiten), stoßen deshalb auf die ‘geballte Wut der Medien und Stammtische’, da solche Entgelthöhen – vor allem angesichts der Erfolgsbilanz der Manager – exorbitant, kaum greifbar und nicht nachvollziehbar auf ‘Normalbürger’ wirken.“ Quelle
1 Kommentar. Hinterlasse eine Antwort
[…] eher von 1995 bis 2010. Danach erhöhten sich die Löhne wieder. Siehe dazu auch meinen Blogbeitrag „Womit die Deutschen in den letzten 20 Jahren am meisten unzufrieden sind“, vom Dezember 2018. Ganz besonders gilt die Lohnabschwächung seit 2010 aber für Großbritannien, […]