Deutschland steht am Scheideweg
Jetzt vor der Bundestagswahl 2025 hat die CDU/CSU ein Sofort-Kurzprogramm für den Fall ihres Sieges veröffentlicht. Ich finde das gar nicht so schlecht, denn man kann daraus viel schneller als bei dem „großen“ Wahlprogramm erkennen, was der Partei wichtig ist. Als Ergänzung würde ich den Parteien insgesamt vorschlagen, dass sie noch ein Papier ausarbeiten, was sie als erstes, als zweites und drittes streichen würden, wenn sie sparen müssen oder das Geld ausgegangen ist. So wäre es z.B. auch nicht zur großen Verwunderung der Kulturschaffenden in Berlin gekommen, dass bei ihnen als erstes gespart wurde, als der schwarz-rote Senat kein Geld mehr hatte. Auf alle Fälle würde das Klarheit schaffen.
Spaß beiseite. Es wird wahrscheinlich dabeibleiben, dass niemals soviel gelogen wird, wie vor einer Wahl, während eines Krieges und nach der Jagd.
Also zu meinem Sofortprogramm, das ich den Bundestagsparteien zum Nachdenken unterbreite.
Deutschland ist eine Industrie- und Exportnation, und diese ist in Gefahr. So oder so ähnlich konnte man es in der letzten Zeit in den Medien hören oder lesen, gepaart mit dem Wort „Deindustrialisierung“. Ist die Gefahr wirklich so groß? Ja! 2025 könnten wir nach Schätzung des Statistischen Bundesamtes abermals eine sinkende Wirtschaftskraft haben. Und das wäre das dritte Mal in Folge! Seit Bestehen der Bundesrepublik hat es das noch nicht gegeben. Es gab größere Einbrüche, aber die wurden relativ schnell wieder ausgebügelt. Ohne in eine Zahlenflut zu versinken, sollte allein diese Möglichkeit auch den Nicht-Ökonomen zu denken geben. Außerdem meldet das Statistische Bundesamt gerade, dass die Exporte der Bundesrepublik 2024 das zweite Jahr in Folge gesunken sind…
Woran hapert es besonders?
An den Preisen für Energie! Selbst der einfache Bürger merkt das, wie teuer Elektroenergie in Deutschland ist, siehe Grafik, worin die Strom-Einzelverbrauchspreise für die größten EU-Länder aufgelistet sind.
Grafikerstellung: Sebastian Solter
Die Industriestrompreise weichen davon freilich ab, weil dort die Großabnehmer Rabatte erhalten. Aber die Tendenz ist die gleiche. In den USA betragen die Industriestrompreise etwa ein Drittel von denen in Deutschland. In China etwa die Hälfte.
Seit der Industrialisierung Deutschlands vor 175 Jahren war Kohle das Treib- oder Schmiermittel, worauf man sich stützen konnte. Auch das Wirtschaftswunder nach dem Zweiten Weltkrieg ist ohne Kohle nicht zu denken. Die Kohle ist jetzt nicht zu Ende, aber man muss wegen der Klimafolgen davon Abstand nehmen. Seit der Jahrhundertwende hat man in Deutschland damit angefangen, regenerative Energien (Wind-, Solar- und Bioenergie) auszubauen. Jeder Umbau kostet natürlich Geld, da kam es sehr gelegen, dass man auf günstiges russisches Gas in der Übergangszeit zurückgreifen konnte. Mit dem Embargo als Antwort auf den Ukrainekrieg Russlands ist diese Möglichkeit aber weggefallen. Seitdem sind die Gas- und Strompreise heftig gestiegen. Damit ist aber die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Wirtschaft in Gefahr. Wenn es der deutschen Wirtschaft wieder bessergehen soll, so müssen die Energie- bzw. Strompreise sinken.
Die CDU/CSU hat das erkannt. Gleich im 1. Punkt ihres Sofortprogramms heißt es richtig: „Wir senken die Stromsteuer und die Netzentgelte – für eine Entlastung von mindestens 5 Cent pro kWh. Der Strom muss für alle günstiger werden.“ Ob das reicht, steht auf einem anderen Blatt – es reicht bestimmt nicht! Auch wenn es eine Subventionierung durch den Staatshaushalt bedeutet, so ist es doch der erste richtige Schritt.
Der zweite richtige Schritt hat etwas mit den Energiepreisen, aber auch mit strategischen Überlegungen zu tun.
Beenden des Ukrainekrieges und Bemühen um gute Beziehungen zu Russland
Seit dem Beginn des Ukrainekrieges und dem Ausfall der russischen Erdgaslieferung haben bei uns die Energiepreise stark angezogen. Nun sollte man fragen, allein wegen der Erdgaslieferungen gute Beziehungen zu Russland pflegen? Nein! Das ergibt sich auch aus anderen Überlegungen. Deutschland ist eine Mittelmacht und muss sich schon deswegen um gute Beziehungen zu seinen Nachbarstaaten bemühen. Russland ist zwar kein unmittelbarer Nachbar und dennoch sollte man um gute Verhältnisse bemüht sein. Großmachtansprüchen der USA sollte man sich nicht unterwerfen, sondern sollten negiert werden. Denn die Ursache des Ukrainekrieges hat auch etwas mit den hegemonialen Ansprüchen der USA und der NATO zu tun. Bei Handelsfragen macht man das ja auch, dass man gegenüber den USA eigene Interessen verfolgt.
Die Ukraine kann den Krieg sowieso nicht gewinnen, sie befindet sich schon seit längerer Zeit in der Defensive. Nach dem Beenden des Krieges sollte man versuchen, zu beiden Seiten, zur Ukraine und zu Russland gute Beziehungen zu unterhalten. Jede Verlängerung des Krieges durch mehr Waffen vergrößert menschliches Leid und wirtschaftliche Probleme. Dieses Bemühen um gute Beziehungen zu Russland ist in dem letzten Jahrzehnt zu kurz gekommen.
Retten der Schlüsselindustrien durch aktive Industriepolitik
Selbst wenn wir schnell auf grünen Strom umschwenken (was freilich nicht schnell geht, und was die CDU/CSU auch gar nicht will!), sind einige Industrien (Hüttenindustrie) bei uns nicht zu retten, weil einige andere Länder (Schweden, Norwegen) grünen Strom billiger produzieren können als Deutschland. Dennoch müssen wir darauf achten, dass unsere Schlüsselindustrien erhalten bleiben. In Deutschland sind das: Autoindustrie, Maschinenbau, die Chemieindustrie und die Elektro- und Metallindustrie. Das sind also Industrien, die Arbeitsplätze in anderen Bereichen der Wirtschaft durch Zulieferung, Bestellung oder Aufträge in großem Umfang sichern.
Die Erfahrungen Großbritanniens in den 1980er und 90er Jahren haben gezeigt, wenn erst einmal bestimmte Industrien abgewandert sind (Schwerindustrie, Textilindustrie, Automobilindustrie, Elektronik und Konsumgüter), kommen sie auch nicht mehr zurück. In Großbritannien hat eben aktive Industriepolitik gefehlt. Man glaubte, alles durch den Markt richten lassen zu können. Die Ampelregierung in Deutschland hat sich zwar punktuell um Industrieansiedlung bemüht (Halbleiterproduktion in Magdeburg), aber ein größeres Konzept war nicht zu erkennen.
Wenn nun aber das Geld alle ist?
Die CDU/CSU will an der Schuldenbremse für den Haushalt festhalten. Das ist erst einmal ein löbliches Ziel, weil die Schuldenbremse ihre Berechtigung hat. Für eine aktive Industriepolitik braucht man aber Geld. Und manchmal mehr Geld als man einnimmt. In Deutschland wird viel zu viel über die Steigerung der Rüstungsausgaben und über ihre Finanzierung gesprochen und viel zu wenig über eine aktive Industriepolitik. Doch das ist das, was Deutschland im Augenblick braucht. Natürlich dürfen und können wir nicht die Industrie und ihre notwendige günstige Energie auf ewige Zeiten subventionieren, nur für die Übergangszeit. Dazu müssen wir eine Notlage anerkennen, genauso wie die Coronazeit. Wir müssen die Notlage erklären, und die Haushalts-Schuldenbremse kurzzeitig außer Kraft setzen. Aber nicht um soziale Wohltaten zu verteilen, sondern um die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Industrie zu verbessern. Das Aussetzen der Schuldenbremse muss befristet bleiben! Vom Abschaffen der Schuldenbremse darf keine Rede sein!
Wie erwähnt hat die CDU/CSU in ihrem Sofortprogramm einige richtige Punkte angesprochen, aber da sind auch Punkte drin, die Verwirrung stiften. Punkt 8: „Wir schaffen das Heizungsgesetz der Ampel ab. Mit dem bürokratischen Reinregieren in den Heizungskeller muss Schluss sein.“ Das Heizungsgesetz der Ampel war zunächst sozial unausgewogen, auch wenn es eine grüne Ausrichtung hatte. Die Korrektur war vernünftig und gab eine Richtung vor. Diese Modifizierung jetzt wieder zurückzunehmen ist unsinnig und trägt nur zur Konfusion bei.
Und genau das ist, was man bei der Industrie vermeiden sollte: Konfusion. Eine aktive Industriepolitik sollte eine klare Sprache sprechen und der Industrie bedeuten, wohin die Reise gehen soll, oder wie es so schön heißt, verlässliche Rahmenbedingungen schaffen. Selbstverständlich muss die Zukunft grün sein, mit grüner Energie. Und sich bei der grünen Zielstellung nur auf die Grünen zu verlassen, falls sie mitregieren, ist doch zu wenig. Nicht dass es so kommt, wie die Ökonomin Isabella Weber nach Blick in das Wahlprogramm der CDU/CSU behauptet: Die CDU will die Steuer für die Reichen senken, und die Migration begrenzen, und das war es dann. Dann wird man eines Tages sagen: Der Scholz hat’s nicht gekonnt, aber der Merz auch nicht.