Gerade (im Februar 2022) haben die Agenturen gemeldet, dass das Ifo-Institut in München für dieses Jahr mit einer Jahres-Inflationsrate in Deutschland von 4 % rechnet. Das wäre auf die letzten 15 Jahren gesehen ein Rekordstand (s. Grafik).
Man kann aber noch weiter in die Vergangenheit zurückgehen, um ähnlich hohe Inflationsraten wie jetzt zu sehen, und zwar in die Jahre nach der Wiedervereinigung 1992 und 1993, damals 5 % und 4,5 %, hervorgerufen durch hohe Nachfrage aus den angeschlossenen östlichen (neuen) Bundesländern.
Diese seit fast 30 Jahren aufkommende etwas höhere Inflation als sonst hat unter Wirtschaftswissenschaftler eine heftige Debatte ausgelöst: Ist sie nur vorübergehend oder länger anhaltend? – Seit den 1980er Jahren ging die Inflation in den Industrieländern kontinuierlich zurück (bis auf kleine Ausnahmen, z.B. in Deutschland nach den Jahren der Wiedervereinigung). Nun könnte man sich vorstellen, dass dieser Zyklus ein Ende nimmt und wieder höhere Inflationsraten auf der Tagesordnung stehen.
Ginge es nach der Europäischen Zentralbank (EZB), so war der Höhepunkt der Inflation schon im Dezember 2021 erreicht und sollte danach sofort wieder sinken. Dass diese Aussage Wunschdenken ist, merkt man schon an den Formulierungen: Kein Mensch kann relativ genau voraussagen, wann der Höhepunkt einer Inflation im Augenblick erreicht ist. Im Nachhinein ist das eher möglich.
Woher kommt die Inflation?
Relativ einig sind sich die Ökonomen, woher der plötzliche Preisanstieg stammt. Er hängt mit der weltweiten Corona-Pandemie zusammen. Fabriken und Produktionsanlagen mussten teilweise stillgelegt werden, um die Ausbreitung der Seuche zu verhindern. Jetzt, wo die Pandemie im Großen und Ganzen überstanden ist, bzw. sie sich abgeschwächt hat, kommt es zu einem verstärkten Nachfrageschub, der die Transportkapazitäten überfordert. Besonders macht sich diese plötzlich vergrößerte Nachfrage bei Energie und Rohstoffen bemerkbar.
Viele Branchen melden seit dem letzten Jahr schlagartige Preiserhöhungen:
„Mit Abstand am stärksten habe sich Bauholz verteuert. Die Preise hätten sich 2021 annähernd verdoppelt, sagte Pakleppa (Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands des Deutschen Baugewerbes). »Bei Kunst- und Dämmstoffen waren es etwa 30 bis 40 Prozent, bei Stahl 70 Prozent.« Seit dem Jahreswechsel sei Bauholz etwas günstiger geworden. »Wir liegen jetzt bei einem Plus von 89 Prozent im Vergleich zur Vorpandemiezeit, also nach wie vor auf sehr hohem Niveau.« [ https://www.manager-magazin.de/politik/deutschland/hausbau-bauen-in-deutschland-soll-noch-teurer-werden-a-76bcc75a-75bf-4220-b306-54045d3f5314]
Wenn man dazu bedenkt, dass sich der Erdgaspreis seit 2020 fast vervierfacht hat (zumindest zeitweise) und auch der Erdölpreis sich beinahe verdoppelte, so wundert es nicht, woher die Preissteigerungen kommen. Denn wenn die Energie- und Rohstoffpreise steigen, dann schlägt das auf alle Branchen einer Volkswirtschaft durch.
Außerhalb der Mehrheitsmeinung liegt die Einschätzung vom Finanzmarktanalysten Clemens Schmale von godmode-trader.de. Er meint über die obige Feststellung hinaus, dass in der Corona-Krise von den Staaten zu viel stimuliert wurde:
„Wurde nach der Finanzkrise zu wenig stimuliert, wurde es dieses Mal deutlich übertrieben. Die Folgen werden uns noch lange beschäftigen. Sie lassen sich aber einfach zusammenfassen: Knappheit. Es herrscht an allen Ecken und Enden ein Mangel. Dieser ist nicht auf einzelne Bereiche oder Länder beschränkt. Es ist ein globales Phänomen. Dieses zeigt sich am deutlichsten auf dem Arbeitsmarkt. In den USA wird schon seit längerem vom Arbeitskräftemangel berichtet. Beim nördlichen Nachbarn Kanada ist die Lage nicht besser. Dort berichten 80 % der Firmen, dass sie unter Arbeitskräftemangel leiden…“ [https://www.godmode-trader.de/artikel/von-allem-zu-wenig,10474750]
So ganz von der Hand zu weisen ist diese Meinung nicht. Freilich ist schwierig, genau zu beziffern, wieviel Inflation auf Lieferengpässe und wieviel auf zu viel Stimulation zurückgeht.
Messung der Inflation
Wichtig ist, wie die Inflation gemessen wird. Man kennt das ja aus Zeiten der Euroumstellung: Auch wenn das Bier in der Gaststätte plötzlich fast das Doppelte kostete (die Mark- auf Euro-Umstellung passierte bei einigen Produkten fast 1:1), stieg die Inflation nicht um das Doppelte, weil nämlich ein Warenkorb bei der Inflationsmessung zugrunde gelegt wird.
Dieser Warenkorb wird gelegentlich aktualisiert, weil sich auch ja die Gewohnheiten und Bedürfnisse der Menschen ändern. Seit 2015 sieht dieser Warenkorb folgendermaßen aus:
Wie langanhaltend wird die leicht erhöhte Inflation sein?
Über dieses Thema gehen die Meinung der Ökonomen wirklich auseinander. Wir können hier nur Argumente anführen, die für eine kürzere oder längere Inflationsperiode sprechen. Darüber hinaus muss man im Hinterkopf behalten, dass nicht zusätzliche Einflüsse auf die Inflation hinzukommen dürfen. Wenn beispielsweise das viele Geld, das die EZB in den letzten Jahren an die Banken ausgeschüttet hat, indem sie Staats- und Unternehmensanleihen der Eurostaaten kaufte, in Umlauf kommt, dann springt die Inflation selbstverständlich über das bisherige Maß an. – Bislang wird dieses Geld größtenteils bei den Banken und bei der EZB selbst gehortet.
Natürlich könnte auch der gerade ausgebrochene Ukrainekrieg die Inflation beeinflussen, denn wie Putin gestrickt ist, könnte er auf die wirtschaftlichen Sanktionen der EU und der USA „antworten“. Die Inflation würde davon eher nach oben als nach unten befördert. Das steht alles noch nicht ganz fest. Beschränken wir uns deshalb auf derzeit Erkennbares.
Für mich die beste Begründung für eine kurzfristige Inflationssteigerung lieferte der bereits erwähnte Finanzmarktanalyst Clemens Schmale. Er zog dazu die jährliche Rendite für 10-jährige US-Staatsanleihen zu Rate. Sie liegt derzeit (Februar 2022) bei rund 2,0 %. Sie müsste aber, wenn die Anleger eine längere Inflationsperiode mit 4-5 % erwarten, um mindestens das doppelte höher liegen, sonst erleiden sie einen Verlust. – Dagegen einwenden kann man freilich, dass die 30-jährigen Hypothekenanleihen in den USA bei etwa 4 % rentieren und das Geschehen besser voraussagen als die Staatsanleihen.
Derselbe Autor liefert aber gleichzeitig auch eine Begründung für eine langfristige Inflationsperiode. Er verweist einmal auf die langen Zyklen (teilweise über ein Jahrzehnt) von Rohstoffpreisen, wenn sie erst einmal gestiegen sind und sich eine höhere Nachfrage abzeichnet. – Das hängt mit den hohen Investitionskosten und den langen Zeiten für die Erschließung neuer Rohstofflagerstätten zusammen. Bis z.B. eine neue Mine in Betrieb gehen kann, vergehen über etliche Jahre. – Zum anderen verweist er auf den Warenkorb zur Inflationsmessung:
„Das größte Gewicht im Warenkorb machen Wohnkosten aus. Es ist ein Drittel. Wohnkosten stiegen bisher nur moderat an. Die Teuerungsrate in dieser Kategorie lag unter der Gesamtinflationsrate. Hier beschleunigt sich der Trend gerade deutlich und der Trend wird sich fortsetzen. Mieten reagieren nun auf die sprunghaft gestiegenen Immobilienpreise. Mieten werden in den kommenden zwei Jahren überdurchschnittlich schnell ansteigen.“ [https://www.godmode-trader.de/artikel/inflation-vor-kurzfristigem-rueckgang,10447115 ]
Auf den Einfluss der Energiewende auf die Inflation verweisen eine ganze Reihe von Autoren hin, z.B.:
„Ein Grundproblem allerdings wird sich so rasch nicht aus der Welt schaffen lassen. Für den Weg zur Klimaneutralität werden noch Millionen Tonnen an Rohstoffen gebraucht. Die neue Art der Energieversorgung braucht sogar noch mehr Mineralstoffe als die alte. Nach einem Bericht der IEA (Internationale Energie-Agentur Seb. Solt.) benötigt etwa eine Offshore-Windanlage pro Megawatt erzeugter Energie 13-mal so viel mineralische Rohstoffe wie ein Gaskraftwerk. 67 Tonnen Kupfer stecken allein in einer Offshore-Windkraftanlage. Batterien sind auf Kobalt, Lithium und Nickel angewiesen. Magnete in Elektrogeneratoren und -motoren brauchen seltene Erden und Neodym. Stromnetze, die Arterien der grünen Wirtschaft, bestehen zum Großteil aus Kupfer.“ [Capital 2021/12 S. 40 ff.]
Je mehr sich Länder der Klimaneutralität zuwenden, desto mehr wird die Nachfrage nach bestimmten Rohstoffen steigen und damit auch die Preise, und somit wird uns auch eine erhöhte Inflation nicht gleich verlassen.
2 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Der Argumentation ist gut zu folgen und klingt nachvollziehbar. Wie geschrieben bleibt abzuwarten, welche zusätzlichen Probleme und Verwerfungen sich noch durch die Kriegssituation und eventuell auch weitere Zuspitzungen -wie z.B. China- ergeben.
[…] Zentralbank), die gern etwas anderes gesehen hätte (s. meinen Blogbeitrag vom Februar: https://oekonomie-kompakt.de/der-anfang-einer-erhoehten-inflation/), den Fakt nicht mehr leugnen. Sie geht nun für das ganze Jahr 2022 für die ganze Eurozone von […]