Nicht die Länder mit den meisten Rohstoffen sind heute reich, sondern diejenigen Länder, die den höchsten Anteil an Hochtechnologie bei der Produktion und beim Export besitzen. Ein gutes Beispiel für diese These ist die kleine Schweiz – 8,5 Mill. Einwohner, etwa ein Zehntel von Deutschland. Rohstoffe besitzt das kleine Land wenig, und doch liegt es beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf – eine Möglichkeit Reichtum zu messen – ganz vorn in der Welt, nur noch übertroffen von Luxemburg. Um sich mal das Ausmaß dieser Spitzenposition vorzustellen: In Deutschland betrug das BIP pro Kopf 2019 46 Tausend US$, in der Schweiz 82 Tausend US$ (gerundet), das ist schon ein beträchtlicher Unterschied. Und das alles noch bei einem überbewerteten Schweizer Franken: gegenüber dem US-Dollar um 15 bis 20 %! Um so eher kommt man natürlich auf den Gedanken, wie zum Beispiel der Autor Max Otte, dass es Deutschland nur wie die Schweiz (er bezieht Liechtenstein in seinen Vergleich mit ein) machen müsste:
“Trotz einer starken Währung, dem Franken, sind beide Länder Sitz international wettbewerbsfähiger Konzerne und sie weisen ein höheres Wirtschaftswachstum auf als Deutschland mit seiner vergleichsweise schwachen Währung, dem Euro. Es ist also durchaus möglich, eine intelligente Politik für die Menschen zu machen, ein angemessenes Lohnniveau zu halten und dennoch international wettbewerbsfähig zu sein.“ [Max Otte: Weltsystemcrash. Krisen, Unruhen und die Geburt einer neuen Weltordnung. FinanzBuch Verlag, München 2019, 7. Auflage 2020, S. 202]
Aber so einfach ist es eben doch nicht, Reichtum lässt sich nicht auf Knopfdruck erzeugen, dahinter stehen gewachsene Strukturen. Bei der Schweiz spricht man davon, dass sie Teil der Blauen Banane ist. Eine Wissenschaftlergruppe um den Franzosen Roger Brunet kennzeichnete damit 1989 einen Ballungsraum im westlichen Europa, der die Form einer Banane (oder eines Winkels hat). Siehe nächste Grafik:
In diesem Ballungsraum haben sich nicht nur verstärkt Menschen, sondern seit der Industriellen Revolution im 18. Jahrhundert auch Industrie angesiedelt. Heute ist dieser Ballungsraum ein Hort von Industrie und Hochtechnologie. Wichtige Industriezweige sind Maschinenbau und Pharmaindustrie. Doch das Spektrum an Erzeugnissen reicht weiter, wie Bereiche der Luft- und Raumfahrt, Elektronik und Kommunikation, Wissenschaftliche Instrumente, Elektrische und Mechanische Maschinen und Militärische Geräte. Die Schweiz war schon Mitte des 19. Jahrhunderts nach England das am stärksten industrialisierte Land, freilich stand damals die Textilindustrie im Mittelpunkt. – Man sieht also, die Schweiz hat es immer wieder geschafft, sich neu zu erfinden, nicht stehen zu bleiben und auch notwendigen Strukturwandel rechtzeitig voranzutreiben. Man schätzt, ohne den Beitrag der Hightech-Unternehmen hätte das jährliche Wirtschaftswachstum nur 0,1 Prozent betragen, es lag aber seit der Jahrhundertwende bei sehr beachtlichen, durchschnittlichen 2,7 Prozent.
Auf der vorgestellten Karte sind die großen urbanen Zentren, wie Zürich, Basel und Bern eingezeichnet. Dazu sind auch Genf und Lausanne zu zählen. Doch ebenso kleinere Städte wie Zug oder Lugano spielen bei der Ansiedlung von Hochtechnologie eine Rolle.
Große Ballungsräume können ja neben Vorteilen ebenfalls Nachteile aufweisen, das sind Umweltprobleme durch Überlastung der Infrastruktur, erhöhte Immobilienpreise und dadurch höhere Produktions- und Lebenshaltungskosten oder durch Ansiedlung von sozial schwächeren Bevölkerungsschichten höhere soziale Ausgaben. Aber offensichtlich überwiegen die positiven Aspekte der schweizerischen Ballungsräume die negativen. Die Ballungsräume erstrecken sich nur auf die Hälfte der Schweiz, die andere Hälfte ist vom hohen Alpengebirge bedeckt.
Neben Industrie und Hochtechnologie hat die Schweiz natürlich noch Vorteile, die man auch nicht so einfach auf Knopfdruck erzeugen kann, weil sie historisch entstanden sind, wie den starken Bankensektor und einen übergewichtigen Rohstoffhandel (man schätzt, dass ein Viertel aller gehandelten Rohstoffe über die Schweiz abgewickelt werden). Nicht umsonst haben der Ölhändler Vitol, die Rohstoffkonzerne Glencore, Cargill International, Trafigura und Mercuria ihren Sitz in der Schweiz. (Hier spielt auch ihr Neutralitätsstatus eine Rolle.)
Was kann man sich von der Schweiz in puncto Hochtechnologie abgucken?
Nun ist die Blaue Banane nicht gottgegeben. Auch außerhalb von ihr sind industrielle und Wissenschaftszentren entstanden. Denken wir nur an den Großraum Paris oder in Deutschland in Sachsen. Überhaupt, bezüglich F+E-Ausgaben (Forschungs- und Entwicklungsausgaben) muss Deutschland den Vergleich mit der Schweiz nicht scheuen, beide Länder liegen beim Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP) in etwa gleich auf, bei etwa 3 Prozent. [s. dazu auch die Grafik “Anteil der F+E-Ausgaben am BIP von 5 OECD-Ländern von 2008 – 2018“ in https://oekonomie-kompakt.de/wie-wird-ein-land-durch-den-kapitalismus-reich-2/]
Die zentrale Frage, wenn man den Schweizer Weg gehen will, ist also, wie fördert man Hochtechnologie? Den staatlichen Anteil der F+E-Ausgaben einfach zu erhöhen, wäre nicht der richtige Weg, wie ich schon in einem früheren Blogbeitrag schrieb. Schon deshalb nicht, weil die staatlichen Aufwendungen für F+E nur etwa ein Drittel der Gesamtaufwendungen betragen, die restlichen zwei Drittel kommen von Unternehmen. Der Staat muss und kann sich nur auf besonders zukunftsträchtige Technologien konzentrieren und die Forschung und Entwicklung von diesen gewissermaßen anstoßen. Studien zur Hochtechnologie haben gezeigt, dass im besonderem Zusammenspiel zwischen Staat und Unternehmen der Schlüssel für die Effizienz von eingesetztem Geld liegt. In der Schweiz ist dieses Zusammenspiel bisher offenbar gelungen, das gilt ebenso, zumindest in der Vergangenheit für die USA, Südkorea, Japan.
Aber zurück zu dem Problem, wie fördert man die Umstrukturierung eines Gebietes? Vor dieser Frage stehen häufig Politiker, denken wir nur an die Lausitz, wenn die Braunkohlenförderung ausläuft, oder früher an das Ruhrgebiet mit seinem eingestellten Steinkohleabbau. Nicht jedes Gebiet eignet sich für Hochtechnologie.
Im Zusammenhang mit dem Brexit wurde 2019 für die Zeitschrift manager magazin eine Studie erstellt: Wo Tech-Unternehmen in Europa investieren sollten. [https://www.manager-magazin.de/unternehmen/artikel/studie-zu-hochtechnologie-standorten-in-der-europaeischen-union-a-1272771.html] In dieser Studie werden Standort-Bedingungen für Hochtechnologie untersucht und konkret Gebiete bewertet und nach ihrer Reihenfolge aufgelistet. Die Indikatoren dafür sind:
■ Regionale Attraktivität: was demographische Struktur und Wohlstand betrifft
■ Verkehrsinfrastruktur: was Bahn-, Autobahn- und Flughafenanschlüsse betrifft
■ Bildung: was Entfernung zu Unis mit mehr als 10.000 Studenten betrifft
■ Technikaffinität: was den Erwerbstätigenanteil im verarbeitenden Gewerbe betrifft
■ Unternehmensindikatoren: Steuerbelastung, Lohnhöhe, Arbeitsstunden
Aus diesen Indikatoren sieht man schon, es ist nicht ganz einfach, Hightech-Unternehmen anzuziehen. (Am besten man gründet erst einmal eine Universität oder Hochschule mit einer Autobahnanbindung und einem Flughafenanschluss!)
Spaß beiseite. Die Autoren der genannten Studie kommen zu dem Schluss, dass die Audi-Region Ingoldstadt die Topliste der besten Hightech-Regionen in Europa anführt, gefolgt von Dublin und London.
Im manager magazin heißt es zu dem Standort Ingolstadt:
„Zwar liegt die Steuerbelastung in Deutschland mit 49 Prozent leicht über dem EU-Durchschnitt. Auch die Löhne für die Beschäftigten haben sich in den vergangenen Jahren überdurchschnittlich erhöht auf ein deutlich überdurchschnittliches Niveau. Dafür ist aber auch die Produktivität im verarbeitenden Gewerbe in Ingolstadt leicht überdurchschnittlich gestiegen und liegt jetzt in der Nähe des Höchstwertes in der EU: Die höheren Arbeitskosten werden durch Steigerungen der Produktivität aufgefangen, so dass der Standort – auch auf Grund der günstigen Bevölkerungsentwicklung – extrem attraktiv bleibt.“ [s. obigen Link]
Interessant ist der Standort mit den zweitbesten Bedingungen: Dublin! Vor allem deshalb, weil dieser Ort nicht im Bereich der Blauen Banane liegt. Es können also auch außerhalb der Blauen Banane Hightech-Standorte entstehen. (Übrigens wurde die Schweiz in der Studie nicht analysiert, weil sie nicht zur EU gehört.) Der Standort mit den viertbesten Bedingungen für Hochtechnologie ist Kopenhagen, das wieder nicht von der Blauen Banane eingeschlossen wird.
Zwei interessante Standorte sollen noch herausgegriffen werden, die zu Newcomer-Gebieten gehören: die Region Gyor-Moson-Sopron (im Augenblick Rang 52), die in Ungarn an den Grenzen zu Österreich und der Slowakei liegt. Dort haben sich vor allem deutsche Autofirmen (Audi, Daimler, BMW) angesiedelt, die auf qualifizierte Arbeitskräfte mit einem moderaten Lohnniveau zurückgreifen.
Das Gebiet um die polnische Universitätsstadt Gdansk gehört auch zu einem bevorzugtem Einzugsgebiet von Hochtechnologie (im EU-Maßstab Rang 70). Die Löhne liegen deutlich unter den EU-Mittelwerten, die Steuerbelastung ist leicht unterdurchschnittlich. Besonders hat sich hier die Herstellung von EDV-Geräten sowie von elektronischen und optische Erzeugnisse etabliert.
Man sieht, die Länder Ungarn und Polen profitieren nicht nur von EU-Haushaltsmittel, sondern auch in der EU von der Ansiedlung ausländischer High-Tech-Unternehmen.
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[…] Der Gedanke, wir brauchten nur den Kapitalismus abzuschaffen, um das Umweltproblem in den Griff zu bekommen, greift zu kurz. Man argumentiert dabei so, dass der Kapitalismus auf unendliches Wachstum setzt, aber das würde unsere Umwelt kaputt machen. Nun hat aber die Begrenzung des Kohlenstoffdioxid-Ausstoßes gezeigt, dass eine solche Begrenzung auch unter kapitalistischen Bedingungen möglich ist. Eigentlich hängt nicht alles am Kapitalismus, sondern wie man sich international einigt (wie schon oben angemerkt). Und im Prinzip brauchen wir das kapitalistische System mit seinen ungeheuren technischen Innovationen. Denn nur im Zusammenspiel zwischen Staat und Wirtschaft, werden wir es schaffen, die notwendigen technischen Innovationen zum Beispiel bei der Energiewende hervorzubringen und umzusetzen. (s. dazu auch meinen letzten Blogbeitrag https://oekonomie-kompakt.de/die-blaue-banane-und-die-schweiz-wie-wird-ein-land-durch-den-kapitalism…😉 […]