Einen ziemlichen Wälzer (640 Seiten) hat Max Otte mit seinem „Weltsystemcrash – Krisen, Unruhen und die Geburt einer neuen Weltordnung“ [FinanzBuch Verlag, München 2019, 640 Seiten, 24,99 Euro] vorgelegt. Fast unmöglich das Buch in einem „Rutsch“ oder in einem einzigen Blogbeitrag zu behandeln, zumal der Autor gewichtige Themen anspricht, Veränderungen in der Weltherrschaft (Abstieg der USA, Aufstieg Chinas), die Europäische Union, der Euro, das verändernde Gewicht Deutschlands in der Welt. Deshalb soll hier zunächst der zweite, wichtigste Teil des Buches von drei, besprochen werden, der sich „Im Crashmodus“ nennt, der mit fast 300 Seiten der längste ist und der die Themen behandelt, die oben aufgelistet sind.
Die Selbstverliebtheit des Autors kommt schon im Vorwort zum Ausdruck, in dem Otte u.a. betont, dass sein kleineres Buch „Der Crash kommt“ (2006 erschienen) allein eine halbe Million über die Ladentheke ging. Die Eitelkeit des Autors ist aber nicht das Problem, sondern dass sein Buch mitunter tendenziöse Passagen enthält. Nach Max Ottes eigenen Aussagen soll sein Werk ein politikwissenschaftliches sein. Der Zusatz „wissenschaftlich“ zur Politik hieße aber, dass es ein sachlich verfasstes Buch sein sollte. Viel zu oft blitzt indessen eine emotionale Seite auf, die ihm nicht gut tut. Zum Beispiel, wenn Otte über Donald Trump schreibt, und betont, dass dieser nicht aus dem Establishment kommt – neben seiner unverhohlenen Sympathie sieht Otte an Trump auch durchaus negative Seiten – hält ihm aber sehr zu gute, dass er keine ausländische Intervention, wie frühere US-Präsidenten angefangen hat. Dabei vergisst Otte, und erwähnt es auch nicht, dass Trump die Militärausgaben der USA mit seinem Amtsantritt sehr gesteigert hat, und keinen Finger für die Abrüstung in der Welt rührte. Ebenso wenig ist Otte wichtig, dass Trump die Spaltung in seinem eigenen Land sehr vorangetrieben hat, bzw. dazu beigetragen hat, die politische Atmosphäre in den USA zu vergiften. Gewissermaßen hat Trump weniger die ausländische sondern die inländische Intervention betrieben.
Nicht umsonst wird Max Otte als einer der wichtigsten Crashpropheten in Deutschland bezeichnet. Der Autor versteht es, in einem lockeren und anschaulichen Stil die gegenwärtige Schwäche unseres Wirtschaftssystems (auch in der Welt) darzustellen. Dabei treten bei den großen Linien des Festzustellenden (bröckelnde Mittelschicht, zunehmend ungleiche Verteilung des Reichtums, Schwäche der EU, wachsender Schuldenstand) keine großen, überraschende Gedanken auf, vielmehr sind es immer wieder Formulierungen und Gedankengänge im einzelnen, die, auch in ihrer Anschaulichkeit, überzeugen können. So schreibt er auf S. 163: „Von der großen Hoffnung, die man weltweit vor einigen Jahren in die türkische Wirtschaft setzte, ist nicht viel übrig geblieben. Im Jahr 2018 appellierte Staatspräsident Erdoğan daher an seine Landsleute, ausländische Währungen in türkische Lira zu tauschen. Wie meistens in solchen Fällen merken die Menschen, wo der Hund begraben liegt, und tun genau das Gegenteil: Sie horten Devisen.“
Auf S. 214 schreibt Otte darüber, dass man die komplizierten und die Banken belastenden Regelungen von Basel-II und -III nicht brauchte: „Gute Reformen des Finanzsystems wären einfach und effektiv, sie würden allerdings »wehtun«. Ich habe vor allem drei Elemente vorgeschlagen: 1. eine deutliche Erhöhung des harten Eigenkapitals aller Finanzmarktakteure, 2. einen Produkt-TÜV, der toxische und gefährliche Produkte nur in geringem Ausmaß zulässt, und eine europäische Ratingagentur und 3. eine Finanztransaktionssteuer.“ Diese Überlegungen tauchen in Ottes Buch an unterschiedlichen Stellen auf, ich halte sie für einleuchtend.
Einen größeren Raum nimmt in Teil II in Ottes Buch Ausführungen zur Europäischen Union und zum Euro ein. Allerdings tritt hier wieder der Hang des Autors zur Emotionalität hervor. Seine ganze Antipathie gegen die EU und den Euro kommt an diesem Ort zum Vorschein. Wenn er auf Seite 321 von den menschenverachtenden und völkerfeindlichen Praktiken des EU-Apparats spricht, dann ist das einfach überzogen und unsachlich. Dabei kann man manchen Ausführungen von Otte zur EU und zum Euro durchaus zustimmen. Zum Beispiel stellt er fest: „Wenn es also ein Gebiet gibt, auf dem die Europäische Union als Akteur in der Welt auftreten kann, dann ist es die Handelspolitik.“ Und einige Zeilen später: „So selbstbewusst wie in der Handelspolitik tritt die Europäische Union sonst in keinem Politikbereich nach außen auf. Und auch damit wäre es fast vorbei gewesen, denn die Europäische Union hätte sich durch das Handelsabkommen TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) fast selbst entmachtet.“ (S. 285) Auf den nächsten Seiten begründet Otte, sehr sachlich, warum TTIP eine Unterwerfung der EU unter die USA dargestellt hätte.
Es gibt natürlich Demokratiedefizite in der EU. Aber das, was Max Otte besonders anstreicht, dass die Stimmen für das Europäische Parlament nicht gleichgewichtet sind, sondern dass die kleineren Staaten eine höhere Stimmengewichtung haben als die großen Staaten, halte ich nicht für so problematisch oder demokratiefeindlich, weil damit einfach sichergestellt wird, dass die kleineren Staaten nicht „untergebuttert“ werden. Viel schlimmer ist, was auch Otte bemängelt, das Lobby-(un)-wesen in Brüssel, das auf die Gesetzgebung einen extrem großen Einfluss hat.
Man kann an der EU vieles bemängeln, dennoch ist sie meiner persönlichen Meinung nach ein Fortschritt in Europa gegenüber der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Und Otte, der die Historie der EU nachzeichnet, spricht selbst von einer „Sogwirkung“ dieser Institution in bestimmten Zeiten. (S. 270)
Anders sieht es freilich beim Euro aus, den Max Otte ganz vehement kritisiert. Und es ist nicht ganz von der Hand zu weisen, dass François Mitterand die Einführung des Euro von Helmut Kohl, der sich nicht sonderlich für Wirtschaft interessierte, im Zuge der deutschen Wiedervereinigung gewissermaßen „abpresste“. Dennoch hätte ich mir dieses Kapitel in Ottes Buch etwas ausgewogener gewünscht. Der Autor fokussiert sich vor allem auf die Nachteile des Euros. Aber es gibt auch Vorteile, die Otte völlig unter den Tisch fallen lässt. Ob allerdings die Vorteile des Euros die Nachteile überwiegen, das ist der springende Punkt!
Die Wirtschaftswoche hat schon 2012 den Euro einen „Faktencheck“ unterzogen, den ich immer noch für gut und aktuell halte. Mehrere Autoren der Wirtschaftswoche hatten dort acht Thesen zum Euro untersucht (meist waren das Thesen zur positiven Wirkung des Euro) und hatten festgestellt, ob sie stimmen, zum Teil stimmen oder nicht stimmen. Ohne sie im einzelnen zu zitieren (jeder kann das entsprechend des Links selbst nachlesen), kommen die Autoren zum Fazit: „Der Euro hat ökonomische und politische Vorteile. Sein Ende wäre eine Blamage, die zunächst weltweit Zweifel an der politischen Handlungsfähigkeit Europas wecken dürfte. Allerdings wären viele positive Entwicklungen auch ohne Euro eingetreten – umgekehrt wurden viele Hoffnungen, die man an den Euro knüpfte, enttäuscht. Zudem deutet alles darauf hin, dass Euro-Land zu einer Transferunion verkommt, in der sich reformresistente Schuldenstaaten durchfüttern lassen. Die Währungsunion birgt für Deutschland somit hohe Risiken. Wahr ist: Es gibt keine Alternative zu Europa und zur Europäischen Union. Zum Euro schon.“ [https://www.wiwo.de/politik/europa/waehrungsunion-der-euro-im-faktencheck/6668340-all.html]
Der Satz von Frau Merkel, an dem auch Max Otte Anstoß nimmt: „Scheitert der Euro, dann scheitert Europa“, ist also nicht richtig. Und das, was 2012 galt, gilt auch heute noch: Euro-Land ist dabei, zu einer Transferunion zu verkommen. Daran nimmt Max Otte, sehr zu Recht, ganz besonderen Anstoß. Wie die Transferunion funktioniert? Nicht über niedrig verzinste Kredite, die Griechenland gewährt wurden, sondern über die Target-II-Salden. Das erklärt Max Otte ebenfalls in seinem Buch. Target-II-Salden werden bei der EZB geführt und sind gewissermaßen zinslose Kredite, die aus dem Kapitalverkehr zwischen den Euro-ländern entstehen. Wenn ein Land innerhalb des Euro-Raums mehr einführt als exportiert, entsteht ein negativer Saldo, umgekehrt ein positiver. Wenn ein Italiener ein Haus in Deutschland mit Euros kauft, wird die italienische Seite belastet und die deutsche Seite entlastet (das sind ja Finanzströme, die von Italien weg fließen!) Deutschland hat zwar in die südeuropäischen Länder einen hohen Export, finanziert aber die Exporte teilweise selbst durch Erhöhung seines Target-II-Saldos. Immerhin beläuft sich das Guthaben Deutschland etwa auf 1 Billion Euro. (Das ist fast das Zweifache des Bundeshaushaltes!)
Klar ist, dass die regierenden, für den Euro verantwortlichen Politiker Angst vor dem Auseinanderbrechen der Euro-Zone haben, denn ob dann Deutschland von seinem positiven Target-II-Saldo jemals etwas wieder sieht, steht in den Sternen.
Spätestens jetzt, nach 20 Jahren Euro-Einführung kristallisiert sich heraus, die Euro-Einführung war voreilig, einige europäische Nordstaaten, Deutschland, Finnland, Niederlande, Österreich und Luxemburg wären reif für eine Währungsunion gewesen, die südeuropäischen Staaten, Frankreich eingeschlossen, sind zu inhomogen, um an einer Währungsunion (in der jetzigen Form) teilzunehmen.
Einen „Höhepunkt“ an überschießender Emotionalität erreicht Max Otte im Kapitel 13 „Fake News, Überwachungsstaat, Repression und die Geburt einer neuen Weltordnung“, dem letzten im 2. Teil des Buches. Er teilt dort die Menschen in unserem Land in zwei Lager ein. Die einen haben eine blaue Pille genommen – sie „befassen sich entweder gar nicht mit Politik, oder sie interessieren sich dafür, hinterfragen aber wenig und folgen dem von den Medien vorgegebenen Narrativ. Und dann gibt es eine gar nicht so kleine Gruppe, die die rote Pille geschluckt hat und die Zustände fundamental kritisch hinterfragt.“ (S. 404) Zu den letzteren zählt der Autor sich selbst natürlich. Und man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, Otte meint eigentlich Folgendes, auch wenn er es nicht so formuliert: Die einen erkennen die Wahrheit und die anderen sind die „Dummen“ und müssen auf den richtigen Weg gebracht werden.
Ein paar Zeilen später schreibt Otte: „In vielen Fällen werden wir gar nicht, unzureichend oder irreführend informiert. Auch zensurähnliche Zustände gibt es wieder. Presse und Medien werden von vielen Menschen mittlerweile als »Lügenpresse« wahrgenommen – oder zumindest als »Lückenpresse«“. – Das klingt schon sehr nach AfD, diejenige, die sehr großzügig mit der Wahrheit umgeht.
Natürlich gibt es in der Presse und den Medien einen Mainstream. Dennoch bin ich der Meinung, dass man sich, wenn man will, informieren kann. Allerdings, die sozialen Netzwerken werden dafür allein auch nicht reichen.
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[…] In meinem Blogbeitrag vom Sept. 2020 hatte ich bei der Buchbesprechung von Max Ottes „Weltsystemcrash“ geschrieben: „Spätestens jetzt, nach 20 Jahren Euro-Einführung kristallisiert sich heraus, die Euro-Einführung war voreilig, einige europäische Nordstaaten, Deutschland, Finnland, Niederlande, Österreich und Luxemburg wären reif für eine Währungsunion gewesen, die südeuropäischen Staaten, Frankreich eingeschlossen, sind zu inhomogen, um an einer Währungsunion (in der jetzigen Form) teilzunehmen.“ [https://oekonomie-kompakt.de/max-otte-ein-begnadeter-publizist-freilich-ein-wenig-selbstverliebt] […]