Bisher hatte ich bei dem Wort „Digitalisierung“ immer ein mulmiges Gefühl: noch mehr Computer, noch mehr Elektronikschrott? Doch diese Vorstellung ist falsch. Eigentlich geht es bei der Digitalisierung auch darum, vorhandene Computer so effektiv wie möglich einzusetzen, sie zu vernetzen, um dadurch die Verwaltungsarbeit zu effektivieren.
Darauf weist auch eine Artikelserie in der c’t (magazin für Computertechnik) „Bundestagswahl: Wer digitalisiert Deutschland?“ gleich zu Beginn der Serie hin [c’t 19/2021 S. 17 ]: „[…] Darin verpflichten sich Bund und Länder, die rund 600 wichtigsten »Verwaltungsleistungen« auch online anzubieten, vom Kindergeld über BAföG und Parkausweis bis zur Sterbeurkunde.“ – Das alles gedachte man von 2017 bis Ende 2022 zu erledigen. Wichtig in dem Zitat ist das Wörtchen „auch“, damit werden Computer fremde Bürger nicht ausgegrenzt. Bisherige Verwaltungswege bleiben weiter möglich.
Doch Wunsch und Wille lagen bei der letzten Bundesregierung gerade bei der Digitalisierung weit auseinander. Von den 600 angedachten digitalen Verwaltungsdienstleistungen (bis Ende 2022) waren es gerade 262 (44 %), die der Bürger online beantragen kann, die Nachweise werden aber nicht online übermittelt – das war nur bei 84 (14 %) der Fall, Stand Mitte 2021.
Ganz symptomatisch für die unzureichende Digitalisierung auf der Verwaltungsebene stellten Vorgänge bei der Coronakrise dar, insbesondere die Gepflogenheiten in den Gesundheitsämtern. Es wurde offenbar, dass diese Behörden immer noch Infektionsmeldungen per Fax erhielten oder Quarantäneanordnungen mit der Post versandten. Dass Lernplattformen bei den Schulen zusammenbrachen, bzw. dem Ansturm während der Coronakrise nicht Stand hielten, zeigte ebenfalls die ungenügende Digitalisierung im Bildungsbereich an.
Das sind keine Einzelbeispiele, denn der zitierte c’t Artikel besagt:
„In einem aktuellen Ranking der Europäischen Kommission liegt die Bundesrepublik im Bereich »digitale öffentliche Dienste« auf Rang 21 von 28, hinter Polen, Italien und Zypern.“ [c’t 19/2021 S. 17 ]
Erstaunlicherweise bestätigt eine Allensbach-Umfrage von 2019 unter 1298 deutschen Bürger ab 14 Jahren, die gewiss nicht alle IT-Experten sind, diese negative Einschätzung. 47 Prozent meinten, dass die damalige Bundesregierung in puncto Digitalisierung wenig kompetent ist. [https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/digitec/digitalisierung-regierung-bekommt-digitalen-wandel-nicht-hin-16572685.html] s. Grafik:
Gründe für die ungenügende Digitalisierung in Deutschland
Der schon erwähnte c’t-Artikel nennt pauschal zwei wesentliche Gründe: Zaghaftigkeit und Kompetenzwirrwarr. Zaghaft und umständlich wurde beispielsweise bisher das Projekt elektronischer Personalausweis umgesetzt, der aber für viele Verwaltungsvorgänge grundlegend ist. Man braucht ein extra Lesegerät, um ihn zu verwenden.
Öffentlich verstecken sich die bisher regierenden Politiker bei ihrem Versagen bei der Digitalisierung gern hinter dem Förderalismus. Tatsächlich sind die Länder und Kommunen bei dem meisten Kontakt zum Bürger zuständig. Doch selbst auf den Gebieten, auf denen die Bundesregierung einheitliche IT-Standards setzen kann – das hat sie in Finanzverhandlungen mit den Bundesländern durchgesetzt – hat sie es laut c’t nicht ein einziges Mal getan. Sogar dann, wenn Kommunen um mehr zentrale Online-Dienste bitten, wie Kfz-Zulassung, Meldewesen oder Elterngeld – eigentlich alles kommunale Angelegenheiten – blieb der Bund inaktiv. Der schwarze Peter bei der Digitalisierung liegt also zunächst nicht bei den Bundesländern und Kommunen, sondern beim Bund. Die Bundesländer und Kommunen sind bei der Digitalisierung, wie bei den Schulen, teilweise schlicht überfordert.
Ganz wichtig bei der Koordinierung wäre das Bundeskanzleramt, um u.a. zu verhindern, dass drei Ministerien gleichzeitig und nebeneinander sich mit der gleichen digitalen Materie beschäftigen, wie zum Beispiel der Schaffung von „souveränen“ Clouds. Doch dieses zentrale Amt glänzte bisher durch „Nichtstun“.
Getreu dem Motto „wenn Du nicht mehr weiter weiß, gründe einen Arbeitskreis“, rufen jetzt die Politiker nach der Gründung eines Digitalministeriums. Doch die Gefahr ist, dass dann die Politiker glauben, sie könnten die Hände in den Schoß legen, die neue Institution würde es schon richten. Dabei geht es bei der Digitalisierung um Schlagkraft und Durchsetzung, die sich auf Kompetenz und auf Expertise gründet. Es gab jetzt schon ein Staatsministerium für Digitalisierung im Kanzleramt (Leitung Dorothee Bär – CSU), gebracht hat es wenig. Solange nicht die Einsicht bei den regierenden „Volksvertretern“ reift, dass die Durchsetzung der digitalen Verwaltung zentral erfolgen muss, mit dem nötigen Know-how und Durchsetzungsmöglichkeiten – am besten eben im Bundeskanzleramt –, solange wird sich an der Misere nichts ändern.
Die Parteien versprechen im Wahlkampf…
… hoch und heilig, dass sie bei der Digitalisierung bedeutendes ändern wollen. Dabei hat das z.T. schon komische Züge, wenn die Union beteuert: „Alles, was digital werden kann, soll digital werden.“ Wie sie das erreichen will? Ganz einfach: mehr Mut zum Pragmatismus. Verworfen wird, alles „auf die 120-Prozent-Lösung zu setzen“. Hoffentlich bleibt bei soviel Pragmatismus nicht die IT-Sicherheit auf der Strecke!
Die bisher mitregierende SPD lässt sich von soviel digitalem Getöse der Union nicht beeindrucken, sondern tönt: „Deutschland soll 2030 über eine digitale Infrastruktur auf Weltniveau verfügen“. Die konkreten Zwischenschritte für diese nächsten zwei Legislaturperioden bleiben bei der SPD natürlich aus… Ist ja auch noch weit genug hin, und außerdem ist es ja nur ein Wahlprogramm.
Nicht alles ist so lustig in den Wahlprogrammen der Parteien zur Digitalisierung wie die angeführten Stellen. Im Gegenteil, die Wahlprogramme (besser Wunschlisten) zu lesen ist geisttötend. Mitunter kommt aber doch heraus, welches Steckenpferd eine Partei auch bei der Digitalisierung reitet. Der Union ist innere Sicherheit sehr wichtig. Deshalb hat sie auch nichts gegen Staatstrojaner, mehr Überwachung, weniger Datenschutz.
Die SPD schlingert wie immer ein bisschen herum. Auf der einen Seite will sie die 20er Jahre nutzen, um Deutschland zur “Gigabit-Gesellschaft” zu machen. („Um dieses Versprechen einzuhalten, werden wir die Versorgung aller Haushalte und Unternehmen mit einer Bandbreite von mindestens einem Gigabit pro Sekunde garantieren. […] durch konkrete, gesetzlich festgelegte Ausbau- und Versorgungsverpflichtungen und entsprechende Zwischenziele.“) Auf der anderen Seite will sie den Netzbetreibern nicht zu nahe treten. Sie stehen dafür nur in der Verantwortung. Die SPD ist also sehr „flexibel“ und hält sich alle Optionen offen.
Der Digitalisierungs-Wahlprogrammteil der AfD ist sehr kurz und pauschal. Es geht ja da nicht um Ausländer und Einwanderung, sondern um eine sehr sachliche, innere Angelegenheit. Gleichwohl legt die AfD Wert auf die nationale Eigenständigkeit: „Die öffentliche Verwaltung arbeitet auf allen Ebenen mit sensiblen Daten der Bevölkerung. Dabei werden in der Regel Computer mit Betriebssystemen und Software ausländischer Hersteller eingesetzt. Für Sicherheitsaktualisierungen können diese Hersteller jederzeit auf diese Computer zugreifen. […] Die AfD fordert deshalb zumindest für die öffentliche Verwaltung in Deutschland den Einsatz von Betriebssystemen und Programmen, die über quelloffene Software erstellt wurden und die im Vorfeld überprüft werden konnten, ob unautorisierte Zugriffe möglich sind.“
Die FDP geht am schärfsten mit der bisherigen Regierung ins Gericht: „Deshalb wollen wir Deutschlands Digitalpolitik neu ausrichten. Denn bisher ist sie unkoordiniert, ziellos und chaotisch.“ Sie glaubt, die Einrichtung eines Digitalministeriums („Ministerium für digitale Transformation“ nennt sie das) würde die Probleme lösen, und sie setzt auf „regulatory sandboxes“, (regulatorische Erprobungszonen) und eine schnelle gesetzliche Deregulierung. (Aha, hier das FDP-Steckenpferd!)
Das Wahlprogramm der Linken zur Digitalisierung ist recht umfangreich und konkret. Es fordert ein Beschäftigtendatenschutzgesetz, weiter die Macht der Internetkonzerne und Plattformen zu begrenzen, beschäftigt sich mit Datenschutz und Datensicherheit (spricht sich gegen Staatstrojaner aus), hat einen digitalen Passus zur Schule, vergisst auch die Digitalisierung im Gesundheitswesen nicht, und kommt auch auf ihr Steckenpferd Vergesellschaftung zurück: „Der Netzausbau muss am Ziel zuverlässiger Versorgung und am Gemeinwohl orientiert erfolgen. Dazu müssen die Breitband- und Mobilfunknetze in öffentliche Hand.“ An der Konkretheit und dem Umfang des Digitalprogramms kann es also nicht liegen, dass die Linke nur ca. 5 % der Stimmen zur Bundestagswahl eingefahren hat.
Internetgiganten regulieren wollen auch die Grünen in ihrem Digitalisierungsteil des Wahlprogramms. Was auffällt, dass die Grünen sich sehr weit vorn in ihrem digitalen Teil zum High-Tech-Standort Deutschland äußern und ihn staatlich fördern wollen: „Eine Innovationskraft, die der Staat mit Tempo und entschlossenen Investitionen unterstützen muss. Vor allem die Bereiche Künstliche Intelligenz (KI), Quantencomputing-, IT-Sicherheits-, Kommunikations- und Biotechnologie oder auch die weitere Entwicklung von ökologischen Batteriezellen wollen wir besonders fördern…“ Auch an dem Abschnitt: „Start-up-Wagniskapital eine Richtung geben“, sieht man, dass die Grünen viel dazu gelernt haben. Eigene Akzente setzen sie, indem sie mehr Mädchen und Frauen für digitale Berufe gewinnen wollen. Außerdem legen sie, wie andere Parteien, Wert auf transparente Algorithmen und IT-Sicherheit.
Was bei den Programmen stutzig macht, dass keine der besprochenen Parteien die Ursachen für die bisherige unzureichende Digitalisierung in Deutschland analysiert und daraus Schlussfolgerungen zieht. Sehr gut scheinen sich die Parteien mit der Digitalisierung nicht auszukennen.