Politiker sagen ja nicht immer alles, beziehungsweise nicht immer alles gleich. Zum Beispiel, wie wir von den hohen Schulden, verursacht durch die Coronakrise, wieder herunterkommen wollen. Wer dazu mehr wissen will, sollte das Buch von Daniel Stelter lesen.
Ziemlich schnell hat Daniel Stelter auf die Coronakrise reagiert und hat schon im Sommer 2020 sein Buch „Coronomics“ publiziert. [Coronomics. Nach dem Corona-Schock: Neustart aus der Krise. Campus Verlag Frankfurt am Main 2020, 217 Seiten, 18,95 Euro]
Dass der genannte Autor sein Buch so schnell schreiben konnte, ist kein Wunder, denn er stützt sich bei seinen Erkenntnissen und Aussagen auf frühere von ihm publizierte Bücher, in denen es vor allem um die Welt-Schuldenproblematik und die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands ging.
Eigentlich ist das Geschriebene von Stelter sehr logisch aufgebaut. Erst kommt die Analyse des Zustandes vor der Corona-Pandemie und dann widmet sich der Autor, was alles durch Corona in der Wirtschaft verändert wird. Freilich hat man als Leser manchmal den Eindruck, er hat etwas schnell hingeschrieben, ohne es zu begründen. So spricht er auf S. 92 davon, dass die Ursachen für die fallende Zustimmung zur EU und zum Euro in Europa schon vor der Coronakrise offensichtlich waren: die EU setzte u.a. die politischen Schwerpunkte falsch. – Welche politischen Schwerpunkte sie falsch setzte, lässt der Autor dabei zunächst offen. – Später merkt man aber bei der Lektüre, dass Stelter ein EU- und Euro-Gegner ist. (Damit soll der Autor nicht gleich in eine Ecke gestellt werden, man kann die Gründe für seine EU- und Euro-Gegnerschaft durchaus nachvollziehen, und er erläutert sie einige Seiten weiter auch: Die EU-Gemeinschaft ist zu inhomogen und hat ihre Versprechen, Wohlstand zu schaffen, nicht erfüllt, und der Euroraum läuft Gefahr, zu einer Transferunion zu verkommen und zwingt einige Länder – Italien, Spanien, Portugal, Griechenland – in ein Korsett, das ihnen nicht bekommt.)
Ich muss Stelter von dem Vorwurf, dass er etwas schnell hinschreibt, ohne es zu erläutern, grundsätzlich freisprechen. In der Regel, wenn man das nicht allzu dicke Buch völlig durchliest, bekommt man die Ansichten des Autors auch genauer erläutert. Es bleiben dann nur ein paar Formulierungen übrig, wie auf Seite 100, wenn Stelter seine Reformagenda für die EU erläutert und u.a. fordert: „Mehr statt weniger Wettbewerb zwischen den Mitgliedsländern. Es muss sich lohnen, Initiative zu ergreifen und den eigenen Standort zu stärken. Gerade der intensive Wettbewerb der Länder Europas in den vergangenen Jahrhunderten war ein Grund für den wirtschaftlichen Aufstieg der Region.“ – Mehr Wettbewerb zwischen den EU-Ländern? Hier hätte man gern detaillierteres.
Als Ziel für die EU formuliert Stelter noch auf derselben Seite: „…wäre eine EU, die sich auf wenige Kernaufgaben beschränkt, insbesondere auf den Binnenmarkt, den gemeinsamen Schutz der Außengrenzen und die Verteidigung.“ Damit würde der Autor alles das abräumen, was die EU an Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit versucht, durchzusetzen. Ein minimalistischer Ansatz nach dem Grundsatz: Jedes EU-Land macht das, was es will, nur beim Binnenmarkt, dem Schutz der Außengrenzen und der Verteidigung gibt es Zusammenarbeit. Eine gewisse Ungereimtheit des Autors bei seinem Gedankengang lässt sich erkennen: Auf der einen Seite kritisiert er scharf, dass die EU alle möglichen Ziele, die sie sich gesteckt hat, nicht erreichte, aber auf der anderen Seite will er etliche Absprachen, u.a. festgelegt in dem Lissaboner Vertrag und der Charta der Grundrechte der EU, zurückdrehen. Diese Diskussion führt nicht zur Verbesserung der Union!
Zurück zur Coronakrise
Auf S. 55/56 macht Stelter den Vorschlag statt Liquiditätshilfen, die Wirtschaft in ein „künstliches Koma“ zu versetzen. Er erläutert:
„Beispiel Miete: Der Betreiber eines Kaffees kann die Miete nicht mehr bezahlen, weil er geschlossen hat. Der Vermieter verzichtet auf die Miete und im Gegenzug muss er keine Zinsen und keine Tilgung bezahlen und die Bank wiederum keine Löhne und keine Zinsen. Wir stellen alles ein und in drei Monaten – wenn wir annehmen, dass das Koma solange dauert – fangen wir dort an, wo wir aufgehört haben, und tun so, als hätte es die Zeit dazwischen nicht gegeben.“
Der Autor selbst schränkt dann gleich ein (S. 56/57):
„Das künstliche Koma wie oben beschrieben geht offensichtlich nur in der Theorie. In der Praxis haben wir keinen kompletten Shutdown der Wirtschaft, wir haben echte Ausgaben – zum Beispiel für Nahrungsmittel – und viele Menschen haben unabhängig von der Wirtschaftslage ein Einkommen, so Rentner.“
Das Beispiel, das Stelter anführt, ließe sich fortsetzen: Polizei, Feuerwehr, Pflegepersonal, Ärzte, Regierungs- und Verwaltungsstellen, usw., alle müssen weiterarbeiten und bezahlt werden. Deshalb ist der Vorschlag von Stelter nur bedingt möglich.
Zum Kernthema des Buches: Schulden und Schuldentilgung
Eines der zentralen Themen des Buches von Stelter ist das Aufnehmen von Schulden infolge der Corona-Pandemie und die Möglichkeit ihrer Abtragung. Hier kennt sich der Autor aus, und hier macht er solide Vorschläge. Er überlegt, wie es am besten nach der Coronakrise mit den Schulden der Unternehmen weiter gehen könnte, S. 164:
„Ebenso wichtig wie die Stärkung des kurzfristigen Konsums ist die Genesung der Unternehmen. Nachdem die Regierung – fälschlich – auf Kredite und Verstaatlichung gesetzt hat [Anmerkung: beim ersten Lockdown im Frühjahr! Es gab aber auch schon damals Beihilfen, Seb. Solt.], um den Unternehmen zu helfen, sollten wir diese Kredite umgehend erlassen. […] Die Vergabe von Krediten war ohnehin der falsche Weg, da Unternehmer alles versuchen werden, um die Kreditlast so gering wie möglich zu halten. Für viele Unternehmen sind /S. 165/ schon geringfügige Kredite nicht nachhaltig tragbar, arbeiten sie doch mit geringen Eigenmitteln und wenig Liquidität. Muss nun die Wirtschaft nach dem Schock den Fokus auf das Tilgen von Krediten richten, so fehlt das Geld für Investitionen, Innovation und den Ausbau des Geschäfts. Also gerade dann, wenn Unternehmen Geld ausgeben sollen, werden sie davon abgehalten.“
Auch der Staat muss mit seinen finanziellen Mitteln effizient umgehen, aber es wird kein Weg daran vorbei führen, dass sich die Staatsschulden durch Corona erhöhen, das legt Stelter klar dar. Gewissermaßen kann man wählen, zwischen einer schweren Wirtschaftskrise mit vielen Unternehmenspleiten und der Erhöhung der Staatsschulden, aber dafür einer abgefederten Wirtschaftskrise, also zwischen Skylla und Charybdis.
Wenn man sich für die Erhöhung der Staatsschulden entscheidet (und das ist vernünftig, denn so kommt man noch am besten durch die Krise! ganz abgesehen davon, dass fast alle Staaten es so handhaben), dann sollte man schauen, wie es andere Staaten machen, den Schuldenberg wieder los zu werden. Stelter schreibt, S. 153:
„Schon vor COVID-19 hat es erhebliche wirtschaftliche Probleme gegeben, und die Welt war ohnehin auf einem Kurs zur Monetarisierung der viel zu hohen Schulden. Nun aber liefert das Virus die perfekte Begründung für eine direkte Finanzierung der Staaten durch die Notenbanken und dient zugleich als Katalysator für die Entwicklung: Es kommt alles viel schneller als gedacht.“
Stelter rechnet mit mindestens einer durchschnittlichen 30-prozentigen Erhöhung der Staatsschulden durch Corona. Für manche Staaten wie Griechenland, Italien und Portugal werden dann die Staatsschulden „untragbar“, trotz augenblicklicher Nullzinsen. Sie werden, gemäß ihrer südeuropäischen Tradition, auf ein Schuldenerlass bzw. ein Einschreiten der EZB drängen. Für Deutschland als Mitglied der Eurozone bedeutet das, auf keinem Fall einen Sonderweg zu gehen, und die Staatsschulden durch Sparen abtragen zu wollen – das würde geringe staatliche Investitionen nach sich ziehen und Investitionen in Zukunftsbereiche, wie Digitalisierung, Breitbandausbau, Förderung zukunftswichtiger Technologien ausschließen. Vielmehr sollte Deutschland einen einheitlichen euroweiten Schuldenerlass bzw. Aufkauf der Schulden durch die EZB durchsetzen, nach dem Motto, wenn schon Schuldenerlass oder Schuldenaufkauf, dann für alle Euroländer prozentual gleichmäßig. Hinterher müssten die Länder, die gut gewirtschaftet haben, von den Schulden her gesehen, besser dastehen, als die Länder mit ehemals hohem Schuldenstand.
Wie die „Monetarisierung“ der Staatsschulden technisch genau ablaufen könnte, stellt Stelter in seinem Buch vor (S. 156 ff.): Man gründet einen euroweiten Fonds, lagert einen Teil der verkauften Anleihen der Staaten darin aus, und immer wenn eine Anleihe zur Auszahlung fällig wird, kauft die EZB sie auf, und hat eine Forderung gegenüber dem Fonds. Ihre Forderung könnte mit einer Laufzeit von 100 Jahren versehen sein und danach mit einer Verzichtsaussicht.
Oft darf man freilich einen solchen Finanzierung der Staatsschulden durch die Notenbank nicht machen (höchstens einmal in hundert Jahren), weil natürlich die Inflation dadurch angeregt wird. Im Falle des Fonds geschieht das peu à peu. Deshalb bleibt Haushaltsdisziplin das oberste Gebot.
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[…] Am wahrscheinlichsten ist im Augenblick, dass das Staatsschuldenproblem über eine Streichung der Bilanzsumme der EZB gelöst wird. Die Staaten würden dann teilweise von ihren Schulden entlastet, entsprechend den Proportionen, wie die EZB die Staatsschulden hält. (Daniel Stelter nennt das: Monetarisierung der Staatsschulden, s. dazu: Link: [https://oekonomie-kompakt.de/corona-economics-coronomics-ein-buch-von-daniel-stelter/]) […]