Ende Januar 2023 reiste Bundeskanzler Scholz bei seiner Südamerika-Reise auch nach Argentinien.
Argentinien ist ökonomisch gesehen eigentlich ein interessantes Land, denn auf der einen Seite hat es durch Staatspleiten in den letzten Jahrzehnten immer wieder von sich reden gemacht, auf der anderen Seite galt es einst, in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, als ein „reiches“ Land, mit einer stabilen Währung und hohen Exporteinnahmen. Wie die „Deutsche Welle“ im November 2021 berichtete, wuchs damals die argentinische Wirtschaft um fünf Prozent jährlich.
„Das Land mit dem weltweit höchsten Pro-Kopf-Einkommen, mit schier unendlichen Rohstoffen und Bodenschätzen wie Wasser, Gas und Öl, verdient ein Vermögen mit der Ausfuhr von Fleisch, Getreide und Leder ins krisengeschüttelte Europa. Die Nation mit dem heute achtgrößten Territorium der Erde, das alle Klimazonen beheimatet, gilt als Kornkammer mit idealen Bedingungen für die Landwirtschaft. Der Peso ist Ende des Zweiten Weltkriegs neben dem Dollar und dem Pfund die härteste Währung der Welt. Argentinien ist das wohlhabendste und einflussreichste Land der Region, weit vor Brasilien […].“ <https://www.dw.com/de/warum-argentinien-immer-wieder-pleitegeht/a-54292481>
Und dann kommt der Absturz…
Das Perónsche Wirtschaftsprinzip
Man sagt, man kann ein Land schneller ruinieren als es dauert, um es zum Wohlstand zu führen. Dieses Bonmot trifft auf Argentinien voll zu. Der Niedergang fängt mit dem ehemaligen General Juan Domingo Perón an, der 1946 zum Präsidenten gewählt wird. Er verspricht Argentinien einen dritten Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus, doch in Wirklichkeit schlägt er einen wirtschaftlich verhängnisvollen Kurs ein. Dazu nochmals die „Deutsche Welle“:
“Das Perónsche Grundprinzip, das von allen seinen Nachfolgern kopiert wird, lautet: über seine Verhältnisse leben und mehr ausgeben als einnehmen. Und wenn nichts mehr geht, Schulden machen, dann Geld drucken und schließlich die Inflation galoppieren lassen. Bis 1949 verdreifachen sich die Staatsausgaben, bis 1955 verdoppelt sich die Zahl der Staatsangestellten.“<Link: s. oben>
Bis heute wird die Frau des Politikers Perón, Evita, als Volksheldin in Argentinien verehrt. Musikalisch ist ihr sogar in dem Musical „Evita“ ein Denkmal gesetzt worden, mit dem legendären Song: „Don’t cry for me Argentina“. Zu dem Mythos um ihre Person, trugen zwei Dinge bei: Sie stammte im Prinzip aus „kleinen“ Verhältnissen und sie starb sehr zeitig mit 33 Jahren (1952). Sie vermochte den Ruf zu erzeugen, dass sie ein Herz für die Besitzlosen hatte und auf deren Seite stand. Die „Deutsche Welle“ drückt es viel, viel nüchterner aus:
„Seine Frau Evita (also die von Perón, Seb. Solt.), der »Engel der Armen«, verprasst die fetten Erlöse aus dem Verkauf von Rindfleisch und Getreide: Soziale Wohltaten, für die Evita und Perón bis heute verehrt werden, sind nicht gegenfinanziert, die Korruption frisst sich in die Gesellschaft.“ <Link: s. oben>
Neben Korruption und Verschwendung kommen andere wirtschaftliche „Dummheiten“ dazu. Man schützt die schwache einheimische Industrie mit Zollschranken, nicht um das Land industriell zu entwickeln, sondern um höhere Löhne und Sozialleistungen zu zahlen. Eine große Anzahl von ineffizienten Staatsbetrieben wird gegründet. Gaswerke, Elektrizitätsgesellschaften und das Fernsprechnetz werden gekauft. So viel wie möglich soll einheimisch sein oder im Land selbst produziert werden, ohne Rücksicht auf Effizienz.
Natürlich steigen infolge dieser Wirtschaftspolitik die Staatsschulen, nicht sofort, aber kontinuierlich. Um das auszugleichen, beginnt Inflation. Die wirtschaftlich instabile Lage wirkt sich ebenfalls auf die politische Situation aus, auch sie wird instabil. Militärregierungen wechseln mit zivilen Regierungen. Als die gerade amtierende Militärjunta 1982 einen Krieg um die Falklandinseln, einer Argentinien vorgelagerten Inselgruppe im Atlantik, mit Großbritannien beginnt, ist das Land schon lange im Niedergang. Der Krieg geht verloren, und die Militärjunta wird 1983 wieder durch eine zivile Regierung ersetzt.
Wie es nach Perón (1955) weiterging
Aber auch die nachfolgenden Politiker schaffen es nicht, das Land auf einen dauerhaft erfolgreichen wirtschaftlichen Kurs zurückzuführen. Dazu reichte wahrscheinlich eine Maßnahme nicht aus, sondern ein ganzes Bündel von Schritten wäre notwendig gewesen. U.a. tiefgreifende Reformen in der Verwaltung, um sie gegen Schlamperei und Korruption widerstandsfähig zu machen, als auch ein grundlegender Sinneswandel in der Bevölkerung, die den Staat als Melkkuh begreift, den es gilt auszupressen und dem man nichts schuldig ist. Vor allem gelang es den Regierungen nicht, langfristig positive wirtschaftliche Ergebnisse zu erreichen, um das Vertrauensverhältnis zur Bevölkerung zu stärken.
Nehmen wir nur mal als Beispiel den Präsidenten Carlos Menem (regierte von 1989 – 1999, also nach der Militärjunta). Er führte zwar eine neoliberale Wirtschaftspolitik durch, kürzte die Sozialausgaben und reprivatisierte die Bahn und andere Betriebe, konnte sogar sein Land zunächst stabilisieren. Freilich, die Erlöse für die Privatisierung versickerten teilweise in „dunklen Kanälen“. Die Inflation ging er mit einem nicht ungekonnten Schachzug an, er band den argentinischen Peso an den US-Dollar, 1:1. Das verschaffte erst einmal Stabilität. Doch die Gefahr bestand nun darin, dass, aufgrund des starken Peso, zu viel importiert wurde, weil es ja billiger war, im Ausland einzukaufen, als selbst herzustellen. Die Außenhandelsbilanz drohte ins Negative zu kippen. Schon vorher hätte Menem unbedingt die Anbindung des Peso an den Dollar sukzessive aufheben müssen, um den Export anzuregen. Das versäumte dieser Präsident indessen, und so türmte sich plötzlich ein gigantischer Devisen-Schuldenberg auf. Die „Pizza und Champagner“-Zeiten, in denen die einigermaßen begüterten Argentinier aufgrund der hohen Dollar-Guthaben durch den starken Peso Urlaub in Miami machen konnten und sich Autos „made in Germany“ leisteten, waren wieder mal vorbei. Argentinien schlitterte in den Staatsbankrott (2001). – Was war gewonnen? Nicht das, was Argentinien gebraucht hätte! Die negativen Schlagzeilen aus dieser Zeit rissen nicht ab: das Bruttoinlandsprodukt sank um 21 %, die Armutsquote stieg auf 57 % und die Arbeitslosenquote auf 23 %. Das argentinische Finanzsystem brach zusammen. Eine wirklich schlimme Wirtschaftskrise!
Meist wirken sich solche schlimmen Krisen auf die politische Landschaft eines Landes aus. Mehr als sonst treten „Besserwisser“ und Gruppierungen auf, die genau wissen – und lautstark verkünden – wie man es besser machen muss. Das Chaos nimmt dadurch nicht ab, sondern noch zu.
Nach den turbulenten 1998er bis 2005er Jahren mit drastischen sozialen Einschnitten schien sich in der zweiten Hälfte des ersten Jahrzehnts eine Wende zum Positiven anzubahnen. Mit Néstor Kirchner konnte sich ein Politiker mit hoher Zustimmungsrate in der Bevölkerung bei Wahlen durchsetzen und versprach Stabilität. Seine Frau, Cristina Fernández de Kirchner, wurde zwei Jahre später sogar Präsidentin. Doch Flügelkämpfe in der Peronistischen Partei, in der Néstor Kirchner mitarbeitete, schwächten ihn politisch. Außerdem erlag er 2010 einem Herzinfarkt.
Ein kurzer Silberstreif am Horizont war das, mehr nicht! Seitdem wandelt Argentinien wirtschaftlich wieder am Abgrund. An der Statistik für die Staatsverschuldung, gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP), sieht man es nicht unbedingt, s. nächste Grafik:
Die Staatsverschuldung Argentiniens sieht in der Grafik gar nicht so schlimm aus (andere Länder, wie Italien, Griechenland, Japan haben eine höhere Verschuldung), doch man muss bedenken, dass Argentinien eine schwache Industrie hat und eine hohen Schattenwirtschaft verbreitet ist. Die Steuereinnahmen fließen nicht üppig. Die ganze Kalamität der argentinischen Wirtschaft kommt aber noch mehr in der nächsten Grafik zum Ausdruck:
Eine für das Land zu hohe Staatsverschuldung und eine hohe Inflation (gegenüber dem US-Dollar stand der Peso 1998 einmal 1:1, heute steht er bei 1:195), das drückt die Misere der argentinischen Wirtschaft aus.