Das Buch von Gerhard Schick: „Die Bank gewinnt immer. Wie der Finanzmarkt die Gesellschaft vergiftet.“ (Campus Verlag GmbH Frankfurt am Main 2020. 256 Seiten, broschiert, 22,00 Euro) ist in neun Kapiteln gegliedert. Die ersten drei Kapitel haben wir im letzten Blogbeitrag besprochen, die Besprechung der anderen soll jetzt folgen.
Von den restlichen sechs Kapiteln sind die Kapitel 7, 8 und 9 die wichtigsten. Das vierte Kapitel behandelt die Verstärkung der Ungleichheit durch den Finanzmarkt, das fünfte Kapitel stellt eine Verbindung her zwischen Finanzmarkt und Klimakrise, und das sechste Kapitel erwähnt die Datenkonzerne (Facebook, Amazon, Google, BlackRock) und wie sie versuchen, ihren Einfluss durch Eindringen auf den Finanzmarkt noch zu vergrößern und was zu ihrer Regulierung getan werden müsste. Das ist aufschlussreich und nicht uninteressant, aber aus Platzgründen soll ausführlich nur auf die darauf folgenden Kapitel (7, 8, 9) eingegangen werden.
Zu Kapitel 7: Finanzmarkt und Populismus
Dass der Populismus nach 2008 so gewinnen konnte, hat wesentlich mit der Finanzkrise 2008/2009 zu tun. Gerhard Schick stützt sich dabei auf eine Studie von Ökonomen, die Finanzkrisen von 1870 bis 2014 untersuchten.
„Dabei kam heraus, dass rechte Parteien nach Finanzkrisen ihre Stimmanteile durchschnittlich um 30 Prozent erhöhen können. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, was im Extremfall dabei herauskommen kann. In Italien profitierten Mussolinis Faschisten in den frühen 1920ern von der Bankenkrise und der weltweiten Rezession gegen Ende des Ersten Weltkriegs. 1921 holten sie 19,1 Prozent der Stimmen, 1925 rund 65 Prozent! Die Nazis bekamen 1930 18,3 Prozent der Stimmen, bei den beiden Wahlen 1932 schon mehr als 30 Prozent und im März 1933 über 40 Prozent. Zu diesem Zeitpunkt waren die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise am stärksten spürbar.“ (S. 154)
Und der Autor fügt an:
„Zu erforschen, warum die Menschen so unterschiedlich auf Finanzkrisen und andere Wirtschaftskrisen reagieren, gehörte nicht mehr zur Studie. Die Wissenschaftler stellen aber Vermutungen an, die Menschen würden die Politik für die Finanzkrise verantwortlich machen. Denn die Regierung hätte eine solche Krise ja verhindern müssen. Eine Rezession wird dagegen für etwas eher Natürliches gehalten, gegen das man nichts machen kann. Auch sind Bankenrettungen stets unpopulär und führen dazu, dass die Regierenden abgestraft werden. Zudem gibt es nach Finanzkrisen soziale Auswirkungen, beispielsweise ein Ansteigen der Ungleichheit. All das führt dazu, dass sich die Wähler von ihrer Regierung abwenden.“ (S. 155/156)
An diesem Abschnitt im Buch, warum Menschen nach Finanzkrisen oft nach rechts rücken, schließt sich ein Abschnitt an, der den Brexit im Zeichen der Finanzkrise in Großbritannien genauer analysiert. Das ist eines der eindrucksvollsten und besten Abschnitte in diesem Kapitel. Hier wird deutlich, dass die Sparpolitik der britischen Regierung nach der Rettung britischer Banken, die ohnehin Benachteiligten der Gesellschaft am meisten getroffen hat, die dann auch am meisten für den EU-Austritt stimmten.
Der Autor betrachtet danach auch die Verhältnisse in Ungarn und Katalonien im Zusammenspiel mit der Finanzkrise, doch das geschieht weniger ausführlich. Anschließend kommt Schick zur EU, bei der er leider linke Stereotypen wiederholt. Zum Beispiel stellt er auf S. 168 die Behauptung auf:
„Die Finanzkrise wurde so zum Gift für unsere Demokratie und ist ein wesentlicher Grund dafür, dass Europa derzeit massive interne Probleme hat.“
Das stimmt eben nicht! Sondern die EU hat ein strukturelles Problem und starke Ungleichgewichte, und sie hat kein einheitliches Verwaltungssystem, Nord- und Südstaaten unterscheiden sich auch darin, und sie hat politische Defizite! Wählbarkeit von Politikern ist nur begrenzt und gilt nicht für die ganze EU. Warum, zum Beispiel, sollte sich der deutsche Finanzminister für Griechenland einsetzen, wenn er von den Griechen gar nicht gewählt wurde? (Wer will, kann dazu nochmals in meinem früheren Blogbeitrag nachlesen: https://oekonomie-kompakt.de/die-eu-nicht-nur-eine-freihandelszone/) – Insgesamt sind die Abschnitte zur EU dünn und können mit den Seiten zu Großbritannien nicht mithalten.
Zum Kapitel 8: Corona und ein instabiler Finanzmarkt
Zunächst wird in diesem Kapitel die Krise der Lebensversicherer behandelt, und mit welchen „billigen“ Tricks sie versuchen, ihren alten, zu „hoch“ verzinsten Lebensversicherungsverträge los zu werden (ganz zu Ungunsten ihrer Kunden). Ungünstig ist dabei, dass die Eigenkapitaldecke der Lebensversicherer mit 1,5 Prozent viel zu niedrig ist, um wirklich einer Insolvenz zu begegnen.
Ökonomisch richtig spannend wird es im nachfolgenden Teil des Kapitels, wo Gerhard Schick auf die Frage zu sprechen kommt, warum eigentlich der Finanzmarkt derzeit so instabil ist: Geld stößt auf zu wenig Kreditnachfrage, daraus resultiert eine „Geldschwemme“ (allerdings kommt das Wort „Geldschwemme“ bei dem Autor nicht vor, es könnte ja auch falsch verstanden werden). Er schreibt auf S. 183:
„Die Europäische Zentralbank kann aber nicht alleine verantwortlich gemacht werden. Sie kann vor allem kurzfristige Zinsen beeinflussen. Aber auch die langfristigen Zinsen sind sehr niedrig, weil die Investoren erwarten, dass die Niedrigzinssituation noch weiter anhält. Dieses Problem verursacht vielmehr das viele Anlagegeld, das auf wenig Kreditnachfrage stößt. Der Preis fürs Geld sinkt, weil es zu viel davon gibt. Das ist ein Marktphänomen und kann nicht allein auf die Europäische Zentralbank zurückgeführt werden. Es hat mit den mangelnden unternehmerischen und staatlichen Investitionen zu tun, aber auch damit, wie das vorhandene Geld verteilt ist.“
Sehr viel Wert legt Gerhard Schick auf die zweite Fehlentwicklung beim Finanzmarkt bzw. in den Volkswirtschaften, der ungleichen Verteilung des Geldes, also von Einkommen und Vermögen und spiegelbildlich von Schulden. Erst diese sehr ungleiche Verteilung verursacht immer wieder neue Finanzkrisen. Eine Gruppe von Menschen, die sehr viel Geld hat, sucht nach Anlagemöglichkeiten, und bei einer anderen Gruppe reicht das verdiente Geld nicht bis zum Monatsende. Die letztere Gruppe fragt Kredite nach, bzw. werden ihr Kredite angetragen, wie bei der Hypothekenkrise in den USA in den Nuller Jahren des 21. Jahrhunderts. Dazu Gerhard Schick zur Gegenwart:
„Schaut man sich die Schulden der Amerikaner heute an, dann fragt man sich, ob Konsumkredite für eine neue Krise das sein könnten, was die Hypotheken für 2008 waren. Allein 2018 nahmen die Amerikaner 584 Milliarden Dollar an Autokrediten auf. Schon vor der Corona-Krise waren über 7 Millionen amerikanische Autobesitzer mehr als drei Monate in Zahlungsverzug mit ihren Kreditraten. Seit 2015 ist der Anteil von Autokrediten mit Zahlungsverzug ständig gestiegen. Bei vielen wachsen die Schulden sogar mit jedem neuen Auto an. Denn wer den alten, noch nicht abgestotterten Wagen in Zahlung gibt und dafür etwas Neues anschafft, dem wird der Restkredit einfach auf das neue Darlehen draufgeschlagen.“ (S. 188)
Ob die Klimakrise und mit ihr der große finanzielle Bedarf für den Umbau der Wirtschaft die „Geld- oder Kreditschwemme“ mindern kann oder ob gar eine Finanzkrise dadurch ausgelöst wird, diese Fragen reißt der Autor an, ohne sie schlüssig und abschließend zu beantworten. Wahrscheinlich wären weitere Untersuchungen außerhalb des Rahmens dieses Buches dafür notwendig.
Zum 9. Kapitel: Lobbyismus
Das ist ein wunderbares Kapitel zur Finanz-Lobby! Mit vielen Beispielen, wie sie wirkt und wie sie die Gesetzgebung beeinflusst! Hier kann der Autor mit seinen Erfahrungen als Bundestagsabgeordneter (Bereich Finanzen) punkten.
Am Anfang des Kapitels geht Gerhard Schick auf das von bürgerlichen Politikern oft gebrauchte Argument ein, dass ja auch Gewerkschaften und Verbraucherverbände ihre Lobbyvertretungen bei den Parlamenten haben. Aber er stellt klar, dass die „Feuerkraft“ der Lobby von Finanz-Firmen ungleich größer ist:
„Entscheidend ist das völlige Ungleichgewicht zwischen der Finanzlobby und den Organisationen der Zivilgesellschaft, die sich für die Interessen der Bürger und Verbraucher einsetzen. Die Finanzlobby gibt dreißigmal so viel Geld aus, um ihre Belange durchzusetzen, wie etwa NGOs Verbraucherverbände oder Gewerkschaften. Den mehr als 120 Millionen, die die Finanzlobby an Mitteln hat, stehen hier nur 4 Millionen Euro gegenüber. Und da sich die Organisationen der Zivilgesellschaft auch nur teilweise mit dem Finanzmarkt beschäftigen, ist das Ungleichgewicht eigentlich noch viel größer.“ (S. 199)
Dabei hält es der Autor in einer Demokratie für normal, dass Menschen für ihre Interessen werben, aber wenn die Balance der Einflussnahme nicht stimmt, dann wird es kritisch. Wegen dieser Balance ist es wichtig, dass es ein Lobbyregister beim deutschen Bundestag gibt, gegen den sich die CDU/CSU so lange gesträubt hat, (und das endlich im März 2021 beschlossen wurde. Ein „exekutiver Fußabdruck“, um kenntlich zu machen, wer alles an Gesetzestexten mitgearbeitet hat [Vorschlag SPD und Opposition], wurde wieder abgeschmettert, Seb. Solt.)
An der Finanzkrise von 2008, zeigt Gerhard Schick im einzelnen, wie Finanzlobbyismus funktioniert. Nach 2008 herrschte in den Parlamenten Aufbruchsstimmung bezüglich einer Gesetzgebung, um die Finanzmarkt-Akteure zu zügeln. Aber letztlich schaffte es die Lobby über Jahre hinweg mit ständiger Litanei vom Untergang des Finanzmarktplatzes Deutschland und Europa sowie direkter Einflussnahme, Gesetze derart zu verwässern, dass eigentlich fast nichts übrig blieb, bestes Beispiel dafür: die Finanztransaktionssteuer.
Jedem, der die Mechanismen deutscher Finanz-Politik verstehen will, kann ich dieses Buch nur empfehlen.