Zwar wird häufig betont, dass Staatshaushalte bei ihren Eigenschaften wenig mit den privaten Haushalten zu tun haben, doch in einigen Punkten haben sie Gemeinsamkeiten. Zum Beispiel, wenn die Ausgaben die Einnahmen überschreiten. Dann ist entweder die Einnahmeseite zu schwach, oder es wird schlecht gewirtschaftet. Nehmen wir einmal die Bundesrepublik Deutschland. Wie sah das in den 1950er und 1960er Jahren aus? Damals flossen die Einnahmen unbedingt reichlich. Kamen aber die Politiker, die an den Schalthebeln der Macht saßen, mit dem Geld aus? Dazu folgende Grafik:
Grafik 1
Quelle: www.statista.com, statistisches Bundesamt
Staatsschulden: sind Schulden des Bundes, der Länder, der Gemeinden und Gemeindeverbände sowie der Sozialversicherung (einschließlich aller Extrahaushalte); – die Schulden des Bundes umfassen den größten Anteil
Grafik: Sebastian Solter
Man sieht an der Grafik 1, auch in diesen ertragsreichen Jahren – die Wirtschaft wuchs zwischen fünf und neun Prozent jährlich – kam der Staat nicht ohne steigende Schulden aus. Schuldenmachen hat unter den deutschen Politikern gewissermaßen Tradition!
Natürlich sagt die Grafik 1 nichts über die Bedrohlichkeit der Höhe der Schulden aus. Einleuchtenderweise ist es ein Unterschied, ob ich eine starke Wirtschaft habe und 10 Milliarden Euro Schulden mache, oder ob ich eine schwache Wirtschaft habe und jährlich 10 Milliarden Euro Schulden mache. Deshalb setzt man die Staatsschulden oft ins Verhältnis zum Brutto-Inlandsprodukt (BIP). Das ergibt dann die Staatsschuldenquote. – Siehe dazu auch meinen Beitrag vom September 2019 https://oekonomie-kompakt.de/crash-oder-eiszeit-eine-globale-finanzkrise-kommt-auf-uns-zu/, in dem ich als Faustregel für die Staatsschuldquote angab: „Ab 120 % des BIP wird es kritisch, ab 140 % gibt es in der Regel (d.h. nur in Ausnahmefällen) keine Rettung aus eigener Kraft mehr.“
Wenn man also die Staatsschulden der BRD ins Verhältnis zum jährlich erbrachten BIP setzt, denn ergibt sich für die Jahre 1950 bis 2025 folgende Grafik:
Grafik 2
Quelle: www.statista.com, statistisches Bundesamt
aus Staatsschulden und BIP berechnet;
2025 aus Schätzungen und Prognosen berechnet;
Staatsschulden: sind Schulden des Bundes, der Länder, der Gemeinden und Gemeindeverbände sowie der Sozialversicherung (einschließlich aller Extrahaushalte); – die Schulden des Bundes umfassen den größten Anteil;
Grafik: Sebastian Solter
In dieser Grafik 2 sieht man, dass die Staatsschuldenquote der BRD in den 1950er und 1960er Jahren mit ungefähr 20 % des BIP nicht gravierend war, auch wenn das vorher Festgestellte gilt, dass die westdeutschen Politiker selbst in dieser Zeit es nicht lassen konnten, überhaupt Staatsschulden zu machen.
Die ersten zwei Verschuldungsorgien in der BRD
Die erste „Verschuldungsorgie“ setzte Mitte der 1970er Jahre ein, als die 1. und 2. Ölkrise ausbrach, und man nach keynesianischer Lesart versuchte, mit erhöhter Kreditaufnahme der Wirtschafts-Wachstumsflaute zu begegnen. Verantwortlich damals zeichneten vor allem SPD-Politiker. Die Staats-Verschuldungsquote sprang auf etwa 40 % des BIP.
Der zweite Sprung oder die zweite „Verschuldungsorgie“ erfolgte in den 1990er Jahren im Zuge des Anschlusses der DDR an die BRD, auch als Wiedervereinigung bezeichnet. Die Staats-Verschuldungsquote sprang auf knapp 60 %. Diesmal war es vor allem die CDU/CSU und FDP, die die zweite Verschuldungswelle zu verantworten hatten.
Eine Lehre bis in zu Beginn der 2000er Jahre war, dass man eine einmal stark erhöhte Staatsschuldenquote nicht wieder zurückfuhr, sondern sie beibehielt, oder sie sogar noch unter einer neuen Regierung erhöhte. Nach dem Motto: Die andere Regierung hat Schulden gemacht, warum soll ich dann auf Schulden verzichten?
2009/2010 in der Weltwirtschafts- und Finanzkrise wurden die Schulden stark erhöht, indem Kredite zum Stützen der Wirtschaft aufgenommen wurden. In den folgenden Jahren ergab sich jedoch eine Besonderheit – wie man auch aus Grafik 2 ablesen kann – die Staats-Schulden, insbesondere die des Bundes, wurden abgebaut. Das war vor allem auf die Schuldenbremse zurückzuführen, die 2009 für Schulden des Bundes und der Bundesländer für 2016, sogar mit Verankerung im Grundgesetz, beschlossen wurde (für Schulden der Bundesländer galt sie ab 2020). Um die Zinszahlungen zu senken, begann der Schuldenabbau im Bund schon 2011.
Der Wirtschaftsjournalist Wolfgang Münchau hat die deutsche Schuldenregel in seinen Artikeln und seinem Buch „Kaputt. Das Ende des deutschen Wirtschaftswunders“ kritisiert, siehe dazu meinen Blogbeitrag vom November 2025 https://oekonomie-kompakt.de/deutschlands-wirtschaftsmodell-in-der-sackgasse/. Er steht ihr kritisch gegenüber, nicht etwa weil er sie rundweg ablehnt, sondern weil er sie für „investitionsfeindlich“ hält. Produktive Investitionen müssten von der Schuldenregel ausgenommen werden. Allerdings macht er diesen Unterschied zwischen investive (produktive) und konsumtive Investitionen nicht direkt, sondern spricht nur von konsumtive Investitionen, für die keine neuen Schulden aufgenommen werden dürften, also für die die Schuldenbremse gelten sollte.
Ein wesentliches Problem gibt es noch mit der Bremse für Staatsschulden. Die Schuldenregel hat zwar dazu geführt, dass in den 2010er Jahren die deutschen Staats-Schulden abgebaut wurden – das war positiv –, aber gleichzeitig vernachlässigte man Ersatzinvestitionen in öffentliche Bauten, also in Straßen, Brücken und in öffentliche Gebäude wie Schulen. Das hängt auch mit dem Alter der BRD zusammen. Die in den 1950er, 1960er und 1970er Jahren gebauten Brücken, Straßen und öffentlichen Gebäude sind in die Jahre gekommen und verlangen nach Rekonstruktion oder Renovierung, auch Modernisierung. Je mehr man zu einem bestimmten Zeitpunkt baut, umso größer sind spätere Ausgaben für Ersatzinvestitionen. Das wird häufig nicht bedacht.
Die Stadt Berlin als Beispiel
Nehmen wir einmal die Stadt und den Senat von Berlin, der aus dem Sondervermögen „Infrastruktur und Klimaneutralität“ von 500 Mrd. Euro des Bundes 5 Mrd. Euro erhalten soll. Was hat er vor mit dem Geld zu machen:
Quelle: https://www.entwicklungsstadt.de/fuenf-milliarden-fuer-die-zukunft-berlin-legt-verteilung-des-sondervermoegens-fest/
Grafik: Sebastian Solter
Die größte Ausgabe aus dem Topf des Bundes-Sondervermögens ist die Baumpflanzung und das Wassermanagement dafür. Ein kleines Beispiel, dass der ökologische Umbau der Stadt nicht zum Nulltarif zu haben ist. Eine ganze Reihe von Posten (Neu- und Ersatzbau von Brücken, Sanierung der JVA Tegel, Neubau Schleuse Neuköln, Neubau Kriminaltechnisches Institut, Schulen, U-Bahn und Straßenbau) sind Ersatzinvestitionen und illustrieren das vorher Gesagte zu der Art von Investitionen, die im Laufe der Zeit notwendig sind.
Soziale Ausgaben – ein leidiges Thema
Gerade in Zeiten niedrig sprudelnder Einnahmen muss man mit sozialen Ausgaben vorsichtig sein, denn diese, einmal festgeschrieben, belasten die zukünftige Ausgabenseite. Und eigentlich ist es auch relativ leicht, solche Wünsche abzuwehren, mit dem Hinweis, dass kein Geld da ist. Und dennoch setzen manche Politiker und Parteien einige ihrer Wünsche durch, wie die CSU bei der Mütterrente oder der Pendlerpauschale (38 ct ab dem ersten Kilometer), oder die SPD beim Rentenniveau von 48 Prozent bis 2031, das einen immer höheren Steuerzuschuss braucht.
Vielleicht drückt sich gerade bei der Aufstellung des Haushaltes (besonders beim Bund) aus, wie einig oder wie gespalten eine Gesellschaft ist. Denn man muss sich ja auf bestimmte fiskalische Regeln verständigen, zum Beispiel, dass man keine neuen Schulden macht oder für Notzeiten eine Reserve im Haushalt belässt. Wenn aber die einzelnen Lager in der Gesellschaft tief gespalten sind, dann ist eine Verständigung schwer möglich, und jeder versucht seine Klientel zu bedienen. Das gilt besonders auch für Demokratien, wo ein häufiger Regierungswechsel durch Wahlen möglich ist, und das gestern Gesagte heute nicht mehr gilt. Beispiele für Länder in Europa, wo sich das zeigt und die tief gespalten sind, ist Frankreich, das sich laufend weiter verschuldet, weil sich die einzelnen Lager nicht einigen können. Ein Gegenbeispiel ist die Schweiz, die relativ einig dasteht und auch einen wenig verschuldeten Staatshaushalt hat. (2024 36 % des BIP). Man sieht, wie der gesellschaftliche Konsens auch einen Staatshaushalt beeinflusst. Es ist sogar möglich, wie in Deutschland, eine Schuldenbremse ins Grundgesetz zu schreiben, die dann trickreich, zum Beispiel durch Sonderhaushalte, umgangen wird.
Ziemlich fest steht, dass mit der schwarz-roten Regierung im Frühjahr 2025 wahrscheinlich die dritte Verschuldungsorgie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland angestoßen wurde (angedeutet in Grafik 1 im Jahr 2025), bei der man nicht weiß, wo sie mal anhalten wird.

