Der Kapitalismus ist nicht statisch, sondern bildet immer wieder neue Facetten aus. Diese neuen Erscheinungsbilder gehen Hand in Hand mit neuen technischen Entwicklungen.
Die Journalistin Ulrike Herrmann stellt in ihrem sehr lesenswerten und gutgeschriebenen Buch „Der Sieg des Kapitals“ den Begriff der „freien“ oder sozialen Marktwirtschaft in Frage. Sie geht sogar noch weiter und formuliert gleich in einer Überschrift zu ihrem entsprechenden Kapitel: „Kapitalismus ist nicht Marktwirtschaft“. Sie argumentiert, dass der Wettbewerb und somit der freie Markt zwischen den Firmen in den modernen Industriestaaten recht eingeschränkt ist. Zum Beispiel vereinen in Deutschland weniger als ein Prozent der Unternehmen 2/3 des Umsatzes auf sich. Es gibt vielfältige Kooperationsbeziehungen zwischen den Unternehmen, bzw. mit einer vertikalen Produktionsstruktur versuchen die Groß-Unternehmen, den Unwägbarkeiten des Marktes möglichst aus dem Wege zu gehen. Selbst auf die Landwirtschaft, zumindest in Europa, trifft nach Meinung Herrmanns der Begriff Marktwirtschaft nicht zu, dazu wird sie viel zu sehr subventioniert. Marktwirtschaft und Wettbewerb treffen eher für die mittleren und kleinen Unternehmen zu. „Der Markt ist eine Spielwiese für die Kleinen. Dominiert wird die Wirtschaft von wenigen Konzernen, die große Teile des Umsatzes kontrollieren. Dass diese Megafirmen der Konkurrenz weitgehend entzogen sind, zeigt sich auch an einem anderen Phänomen: Sie können ihren Gewinn recht gut planen.“ (Ulrike Herrmann: Der Sieg des Kapitals, Westend-Verlag 2013, S.70)
Die Frage, ob das Monopol den Wettbewerb im Kapitalismus beeinträchtigt, spielt schon in der Vergangenheit in der ökonomischen Diskussion eine wichtige Rolle. Selbst Friedrich A. Hayek, ein bedeutender Vertreter des Neoliberalismus, der auf “freie“ Märkte und Wettbewerb schwört, kann nicht umhin, dieses Problem zu diskutieren, z.B. in seiner 1944 erschienenen Schrift „Der Weg zur Knechtschaft“. Hayek dort: „Wir wollen natürlich nicht die historische Tatsache des progressiven Anwachsens der Monopole während der letzten fünfzig Jahre bestreiten, ebenso wenig wie die zunehmende Einengung des vom Wettbewerb beherrschten Gebietes – wenn auch der Umfang dieses Vorganges oft stark übertrieben wird.“ (Friedrich August Hayek: Der Weg in die Knechtschaft, 1. Neuauflage 2014 als OLZOG edition, Lau-Verlag & Handel KG, Reinbek/München, S. 58) Der besagte Autor macht aber nicht die Zwangsläufigkeit der technischen Entwicklung für die Monopolbildung verantwortlich, sondern weist sie als Ergebnis der in den meisten Ländern verfolgten Politik aus. Er meint, die angehenden Monopolisten suchten die Unterstützung der Staatsmacht, häufig mit Erfolg.
So wie diese beiden zitierten Autoren, gibt es eine Unmenge von Meinungen zur Monopolbildung im Kapitalismus. Die extremsten dabei sind, dass mit der Monopolbildung der Kapitalismus abgewirtschaftet hat, bzw. dass die letzte Phase des Kapitalismus erreicht ist (W.I. Lenin). Eine andere extreme Meinung ist die von der oben angeführten Ulrike Herrmann, dass durch die Monopole keine Marktwirtschaft mehr gegeben oder sie aufgeweicht ist. Dabei übersieht diese Autorin, dass Monopole heutzutage oft im internationalen Wettbewerb stehen, und von dieser Seite her ein kleines Korrektiv gegen ihre Monopolmacht wirkt. Dieser internationale Wettbewerb macht sich auch in der Autoindustrie bemerkbar, die von Herrmann gerade als Beispiel für Monopolbildung angeführt wird. (Dennoch bleibt ihr Buch sehr lesenswert, weil sie vorhandene Literatur auswertet und in seltener Klarheit Fragen aufwirft.) Eine Gegenmeinung zu Ulrike Herrmann sind die Ökonomen, die ungerührt von Marktwirtschaft reden und das Problem der Monopole dabei ausklammern oder kleinzureden versuchen (s. oben Hayek), meist sind diese Ökonomen vom neoliberalen Geist durchdrungen (was nicht ausschließt, dass sie auch gute und richtige Gedanken äußern können, wie z.B. gerade auch Hayek, bei ihm allerdings nicht auf dem Gebiete der Monopole).
Warum ist die Frage der Monopole im Kapitalismus so wichtig? Die Segnungen des Kapitalismus liegen im Preis. Bei Produkten, die effizienter als vorher produziert werden, zwingt der Wettbewerb, die Einsparung auch an den Käufer oder Konsumenten weiterzugeben. Monopole stecken aber diese Einsparung weitgehend in die eigene Tasche, weil ja kein Wettbewerb herrscht. Ganz besonders offensichtlich wird das bei der Kartellbildung. Selbständig bleibende Unternehmen treffen untereinander Vereinbarungen, um den Wettbewerb unter ihnen einzuschränken. Häufig betrifft das den Preis. Wie das „Handelsblatt“ 2013 mal geschrieben hat: „Dachziegel, Kartoffeln und Rolltreppen: Die Vielfalt der Produkte, für die es Kartelle gegeben hat, ist riesig.“ Aber es kann auch, wie die Dieselaffäre zeigt, um Umweltschutz oder ökologische Auflagen gehen. Dabei können die Absprachen ebenfalls indirekt sein. Ein Unternehmen macht den Vorreiter und spart ein, die anderen ziehen nach, um nicht ins Hintertreffen zu kommen; zumal, wenn sie merken, dass staatliche Stellen sich eine Augenbinde beim Überprüfen der Umweltnormen anlegen (so geschehen beim jüngsten Dieselskandal).
Aus all dem Gesagten lässt sich erkennen, das Problem der Monopole gibt es (wie gesagt, Zwei Drittel des Umsatzes in Deutschland machen Großbetriebe), und wenn man den Kapitalismus nicht von vornherein ablehnt, gilt es immer abzuwägen, ob ihre Macht so groß ist, dass sie zerschlagen werden müssen (eine gelegentliche Praxis in den USA am Anfang des 20. Jahrhunderts) oder sie zumindest reguliert werden müssen.
Neue Tendenzen bei der Monopolisierung
Auf neue Tendenzen der Monopolisierung macht der kanadische Ökonom, der in London lehrt, Nick Srnicek in seinem Buch „Plattform Kapitalismus“ (Hamburger Edition, Hamburg 2018) aufmerksam. Durch die Entwicklung des Internets haben sich solche Internetfirmen wie Google, Facebook, Microsoft, Monsanto, Uber und Airbnb herausgebildet. Ihre Besonderheit ist, dass sie nicht unbedingt ein neues Produkt bieten, sondern eher eine Plattform, auf der Käufer mit Verkäufern zusammenkommen. Solche Plattformen hat es auch schon früher gegeben, denken wir nur an die Inseratenteile der Zeitungen oder die Shoppingmalls. Aber alles passiert jetzt in neuen Dimensionen. Das Internet macht Netzwerkeffekte bisher ungeahnter Dimension möglich. Srnicek dazu: „Plattformen schaffen Netzwerkeffekte. Auf einfachster Ebene bedeutet das, dass die Plattform für alle Beteiligten umso wertvoller wird, je mehr Leute mitmachen. Es kann sein, dass Sie Facebooks Umgang mit Daten nicht mögen. Aber wenn Sie sich heute bei einem sozialen Netzwerk anmelden, wird es wahrscheinlich Facebook oder einer seiner Ableger sein – einfach deshalb, weil alle Ihre Freunde und Verwandte schon dort sind. Netzwerkeffekte sorgen dafür, dass konkurrierende Plattformen es sehr schwer haben.“ Interview der Zeitschrift Die Zeit mit Nick Srnicek
Durch die beschriebene Eigenart von digitalen Plattformen haben sie eine natürliche Tendenz zum Monopol. Man könnte weiter schlussfolgern: Wir treten vielleicht in ein Zeitalter des digitalen Monopolkapitalismus ein.
Wie mit dieser neuen Phase des Monopolkapitalismus umgehen?
Monopolkapitalismus verlangt, wie schon erwähnt, nach Regulierung, sonst ereignen sich gerade solche Dinge, wie bei Facebook, das persönliche Daten weitergegeben hat, die unbefugt zur gezielten Wahlwerbung eingesetzt wurden. Es passiert, was auch schon bei anderen Monopolen geschieht, es kommt zu einem Missbrauch der Monopolstellung.
Wie kann man diesem Missbrauch der Monopolstellung begegnen? Manche Autoren, wie z.B. Sahra Wagenknecht, schlagen gemeinwohlnützige Gesellschaften vor, die nicht am Verwerten der persönlichen Daten interessiert sind. Auch der zitierte Ökonom Srnicek glaubt, es wäre an der Zeit, darüber zu diskutieren: „Ich denke jedenfalls, wir müssen darüber sehr ernsthaft nachdenken und neue Modelle entwickeln, wie eine öffentliche, gemeinnützige Kontrolle aussehen könnte. Das Thema drängt, aber die Diskussion hat noch gar nicht richtig begonnen.“ Wobei er allerdings einschränkt, dass es nicht ganz so einfach wie mit den Öl-, Wasser- und Elektrizitätsmonopolen am Ende des 19. Jahrhunderts ist: „…die Monopolisten von heute umspannen mehrere Industrien und funktionieren transnational. Ihr Geschäftsmodell macht vor geografischen Grenzen nicht halt. Dafür rechtliche und politische Lösungen zu finden, ist extrem komplex.“ Interview der Zeitschrift Die Zeit mit Nick Srnicek
Auch wäre es nicht richtig, wenn der Staat den Zugriff auf die persönlichen Daten hätte und sie auswerten und missbrauchen könnte. Jede geheime Wahl würde zur Farce, wenn der Staat von vornherein wüsste, wie der einzelne politisch tickt.
Vielen Verbraucher und Internet-Nutzer meinen, dass ihre persönlichen Daten nicht so wichtig seien, sie hätten ja nichts zu verbergen. Ganz so einfach ist die Sache nicht. Es gibt Dinge, die bei der Nutzung durch das Internet nur nerven, z.B. gezielte Werbung. Und dann gibt es persönliche, vielleicht sogar intime Details, die man nicht so gern öffentlich machen würde, Krankheiten, erbliche Veranlagungen, sexuelle Vorlieben, politische Sympathien und Antisympathien, persönliche Schwächen usw. Denke man nur daran, jemand suchte eine Anstellung, und der Personalleiter könnte ein persönliches Profil des Suchenden mit all den genannten persönlichen Details anfordern… Man wäre schon durchleuchtet und abgestempelt, bevor es zum ersten Gespräch käme.
Ein erster Schritt zur Regulierung der Daten-Monopole ist die EU-Datenschutzgrundverordnung, die Ende Mai 2018 in Kraft tritt. Dort bekommen die Verbraucher mehr Rechte bezüglich des Löschens und des Verarbeitens ihrer Daten eingeräumt. Auch werden empfindliche Sanktionen bei schwerwiegenden Verstößen gegen das Datenschutzrecht, sprich diese Verordnung, fällig. Und der EU ist es natürlich auch leichter, sich gegen diese digitalen transnationalen Monopole durchzusetzen als ein einzelnes (vielleicht kleineres) europäisches Land. Gerade auf diesem Gebiet sieht man wieder einmal, dass gemeinsames europäisches Handeln von Vorteil ist.