Schon auf der zweiten Seite seines Vorwortes kommt Stiglitz zu dem Urteil, dass es eine fatale Entscheidung im Jahr 1992 war, eine gemeinsame Währung in Teilen von Europa einzuführen. (S.10) Nun ist die Frage: Kommen hier US-amerikanische Ressentiments gegen die Konkurrenzwährung zum US-Dollar heraus, oder gibt es Begründetes, das gegen den Euro spricht? Darüberhinaus, manchmal sind die Argumente eines Feindes überlegenswerter als die eines Freundes. Untersuchen wir das einmal!
Auf dem hinteren Klappentext des Buches steht, wie die Times über Stiglitz’ Buch urteilt: „Stiglitz zählt zu den wenigen Ökonomen, die es schaffen, auch komplexe Zusammenhänge verständlich zu machen.“ Doch gerade das schafft Stiglitz nicht. Zwar vermeidet er weitgehend Fachtermini oder erläutert sie, doch seine ganze Darstellungsweise ist etwas umständlich, ausschweifend und wiederholend. So gibt es im ganzen Buch immer wieder interessante Gedanken und Feststellungen, aber sie sind sehr verstreut und nicht konzentriert, wie das auch leider schon in seinen früheren Büchern zu beobachten war. Der Leser muss sich erst durch viele Seiten hindurcharbeiten, um ein einigermaßen vollständiges Bild von dem zu erhalten, was der Autor meint. So schreibt er auf S. 16: „Breite Bevölkerungsgruppen in Industrie- und Entwicklungsländern haben oftmals vor allem deshalb nicht von der Globalisierung profitiert, weil die ökonomische Globalisierung viel schneller als die politische Globalisierung voranschritt, und das gilt auch für den Euro.“ Aber erst auf S. 120 ff. beschäftigt sich Stiglitz mit dem US-Raum und warum dort, trotz großer Unterschiede zwischen den Bundesstaaten, eine gemeinsame Währung funktioniert. Und hier versteht der Leser auch, welche Hauptschwächen der Euro hat. Stiglitz versteht darunter, das Fehlen von bestimmten Institutionen oder Mechanismen im Euro-Raum. Zwar gibt es in der EU und also auch im Euro-Raum Personenfreizügigkeit, aber schon bei der Inanspruchnahme von Sozialleistungen, medizinischer Versorgung usw. bestehen Hürden. Ganz im Gegensatz zu den einzelnen US-Bundesstaaten. Dort spielt die Herkunft eines Bürgers längst nicht solch eine Rolle wie in Europa. Die kulturelle Identität in den einzelnen US-Bundesstaaten ist also weniger stark ausgeprägt. Bei einem ökonomischen Schock in einem Bundesstaat hilft in den USA die Bundesregierung, in Europa ist das Budget der EU-Zentrale viel zu klein, um wirksam antizyklisch helfen zu können. Außerdem ist das Bankensystem in den USA größtenteils ein nationales Bankensystem. Gerät eine Bank in Schieflage, wird sie nicht von einem einzelnen Bundesstaat, sondern von einer Bundesbehörde gerettet. Diese Bankenunion fehlt auf EU-Ebene oder mindestens auf Eurozonen-Ebene.
Besonders polemisiert Stiglitz gegen die Sparpolitik in der EU, auch der Buchtitel heißt ja deutsch, Europa spart sich kaputt. Doch die deutsche Seite hat ja nicht von ungefähr das Konvergenzkriterium (Höchstmaß an Verschuldung eines staatliches Haushaltes) bei der Euro-Gründung eingebracht, sie wollte einen „weichen“ Euro verhindern. (Übrigens würden es auch den USA nicht schlecht anstehen, wenn sie in ihrem Haushalt mehr sparte!) Manchmal hat es den Anschein, als würde Stiglitz nicht viel vom Sparen halten. Das wäre ein Manko, wenn das wirklich so ist. Indessen, was der Autor Stiglitz klar macht, dass das Verschuldungskriterium allein für ein Zusammenwachsen der Euro-Staaten nicht ausreicht. Mehr noch, als alleiniges Hauptkriterium für den Euro befördert es das Auseinanderdriften. Schwache Staaten müssen in einem Krisenfall zu viele Lasten stemmen, so dass sie noch mehr in die Bredouille kommen, und es letztlich keinen Ausweg daraus gibt, zumal sie auf den Zins- und/oder Währungsabwertungsmechanismus nicht mehr zurückgreifen können.
Vor allem in Griechenland zeigen sich die negativen Auswirkungen des Euro-Konstrukts. Natürlich hat Griechenland gemogelt, um in die Eurozone aufgenommen zu werden, und dann hat es durch das Verhalten der eigenen Politiker über seine Verhältnisse gelebt (das gesteht Stiglitz deutlich ein). Aber muss man nicht auch anders herum fragen, warum gab es keine Euro-Institutionen, die das griechische Verhalten verhinderten? Haben denn die Politiker aus anderen Euro-ländern und an der EU-Spitze nicht auch Schuld an der griechischen Pleite? Es ist also mit den Schuldzuweisungen nicht so einfach. Was aber dann nach der griechischen Pleite oder Fast-Pleite 2010 kam, kritisiert Stiglitz heftig. Wie er das Verhalten der Troika auseinander nimmt, das ist schon nobelpreiswürdig. Dieser Abschnitt (S. 225 – 267) gehört zu den besten des Buches. Der Leser begreift, man kann so sparen oder auch anders sparen. Bezogen auf ein fast bankrottes Unternehmen heißt das, man kann sparen, indem man die letzten Reserven aus den Beschäftigten herausholt und alles verscherbelt, das nicht niet- und nagelfest ist, oder anders sparen, dass die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens erhalten bleibt. Es ist nicht schwer zu erraten, wie sich die Troika verhalten hat (mehrmals!). Durch ihr Spardiktat vergrößerte sie sehr stark die Arbeitslosigkeit, selbst Hochschulabsolventen konnten keine Stelle mehr finden, es gab drastische Rentenkürzungen, Einschnitte bei der Gesundheitsversorgung sowie sozialen Kürzungen, und überhaupt einen Absturz in die Armut, auch die Mittelschicht wurde in Mitleidenschaft gezogen. Griechenland war der schlimmste Fall, aber es betraf auch Länder wie Spanien, Portugal, Zypern und Irland. Eine zweistellige Arbeitslosigkeit wie diese Länder über Jahre hatten, währte in den USA im Krisenjahr 2009 nur einen Monat, nämlich 10 Prozent als Höchstand, wie Stiglitz schreibt (S. 226).
Die Troika kann sich auf die Fahnen schreiben, überall dort, wo sie eingriff und mit Rettungspaketen den Regierungen mit gleichzeitigem Spardiktat unter die Arme griff, konnten die Zinsen auf Staatsanleihen nach ein paar Jahren wieder gesenkt werden. Die Staaten waren also nicht mehr durch zu hohe Zinsen praktisch vom Kapitalmarkt abgeschnitten. Doch der Preis dafür war ein „Leiden der Bevölkerung“ (wenig Wirtschaftswachstum oder gar Rezession, hohe Arbeitslosigkeit, soziale Einschnitte) – bis auf Irland, wo die Wirtschaft 2015 erstmals seit fünf Jahren wieder kräftig wuchs. Dieser Preis ist zu hoch, meint Stiglitz, und er treibt die Eurozone auseinander.
Was schlägt er vor? Ein alleiniges Allheilmittel hat er auch nicht. Doch er sieht den Fehler schon bei der Einführung des Euros: Zu viel Wert wurde auf eine stabile, harte Währung gelegt, flankierende, begleitende Maßnahmen bei Krisen und die Gründung von europäischen Institutionen für den Euro-Raum kamen zu kurz (s. die letzten hundert Seiten des Buches). So wäre eine Bankenunion für den Euro-Raum unbedingt notwendig, ähnlich wie in den USA, was schon angesprochen wurde. Auch eine teilweise Vergemeinschaftung von Staatsschulden durch Ausgabe von Eurobonds ist sinnvoll, da, wie Stiglitz meint, eine landesgebundene Schuldenaufnahme in einer Welt mobiler Arbeitskräfte wenig sinnvoll ist. Natürlich dürfen die einzelnen Staaten keine großen Defizite anhäufen, sowohl im Staatshaushalt als auch in den Außenwirtschaftsbeziehungen. Doch es dürfen nicht nur die Defizite innerhalb des Euroraums bestraft werden (wie bei den Target2-Salden), sondern auch die Überschüsse sind innerhalb eines Währungsraumes zu ahnden (betrifft u.a. Deutschland), sonst kann der Währungsraum nicht funktionieren. Innerhalb flexibler Währungsräume gleichen das Währungsschwankungen aus, aber die gibt es ja nicht im Euro-Raum. Der Nobelpreisträger schlägt weitere Maßnahmen vor, u.a. ein erweitertes Mandat der EZB, das sich auch auf Vollbeschäftigung und Wachstum beziehen sollte.
Insgesamt schätzt Stiglitz ein, geht es im Euro-Raum viel zu sehr um das Verhältnis von Gläubigern und Schuldnern und nicht um ein partnerschaftliches Verhältnis. Und das kommt nicht von allein oder durch bloßen Willen, sondern eben durch Regeln, die einen Ausgleich zwischen den einzelnen Euro-Landes-Interessen herstellen. Symptomatisch dafür, Deutschland verweigert bis heute Griechenland einen starken, befreienden Schuldenschnitt, ohne den das Land, selbst nach Meinung des IWF, nicht wieder auf die Beine kommt (170 Prozent griechische Staatsschulden sind aussichtslos!).
Wird sich an der Euro-zone etwas ändern? Schwerlich. Die starken Staaten wie Deutschland profitieren von den gegenwärtigen, unausgewogenen Regeln und die anderen Euro-Staaten sind zu schwach (und vielleicht auch zu uneins), um eine grundlegende Veränderung zu erreichen. Was bleibt ist ein Weiterdahinwursteln (diese Möglichkeit zieht Stiglitz ebenfalls in Betracht, schon wegen der Kurzsichtigkeit der Politiker).
Wie schon gesagt, es gibt in dem 500-Seiten-Buch von Stiglitz interessante, gedankenanregende Stellen – trotz aller Schwächen in der Darstellung –, und er versucht den Euro von vielen Seiten zu beleuchten. So macht er Vorschläge wie eine funktionierende Euro-Zone aussehen könnte (im Buch Teil IV, Lösungsansätze), und wie Staaten, die sich aus der Euro-Zone lösen, dann ihre Wirtschafts- und Finanzpolitik gestalten müssten. Stiglitz hat keine Vorurteile gegen den Euro, sondern er argumentiert meist auf der ökonomischen Ebene und vergleicht Ziele des Euros und die Wirklichkeit miteinander. Letztlich sind seine Überlegungen so fundamental, dass ein einfaches Ignorieren von der Leichtfertigkeit und der Ignoranz des Betreffenden zeugen.