Es gibt für einen Staat zwei Möglichkeiten aus Schulden herauszukommen, durch Sparen oder durch wirtschaftliches Wachstum. – Die dritte Möglichkeit, seine Währung abzuwerten, um dadurch seine Exporte anzukurbeln, lassen wir mal beiseite, weil das bei freifloatenden Währungen oder im Euroraum nicht funktioniert. – Also zurück: Sparen oder Wachstum? Um diese beiden Möglichkeiten ist seit Jahren unter Ökonomen eine heftige Kontroverse entbrannt.
Wenn man den Binnenkonsum nicht ankurbelt, sondern noch abwürgt, und wenn man die Ausgaben für Investitionen, Bildung und Forschung & Entwicklung noch kürzt, wie will man dann von seinen Schulden auch in Zukunft herunterkommen, argumentiert die eine Seite. Man bremse so die Wirtschaft und werde auch in Zukunft immer größere Haushaltslöcher haben. – Die andere Seite, die die Austeritätspolitik vertritt: Ein Staat, der sich hoch verschuldet hat, muss erst einmal lernen, mit seinen Haushaltsmitteln sparsam umzugehen. Was nutzt es, sinnlose Bürokratie mit Geld zu füttern, Korruption durch Geldausgeben zu fördern oder ineffiziente Strukturen aufrecht zu erhalten? Da muss ein Umdenken stattfinden!
Mir ist diese Diskussion zu akademisch. Zu sehr steht die Ökonomie im Vordergrund. Aber es hängt nicht nur von ihr ab, ob etwas gelingen kann oder nicht, sondern auch von sozialen, politischen und sogar kulturellen Bedingungen. Erst wenn man sie geprüft hat oder sie berücksichtigt, kann man entscheiden, ob das eine Verfahren (z.B. Sparen) oder das andere (das wäre dann Wachstum durch Geldausgeben) gelingt. Nehmen wir das Beispiel Portugal, in dem der seit 2015 regierende Sozialist António Costa Anfang Oktober 2019 einen Wahlsieg aufgrund seiner Wirtschaftspolitik in den letzten vier Jahren eingefahren hat.
In Portugal hatten sich mit dem Eintritt in die Euro-Währungsunion die Zinsen für Kredite, wie bei anderen südeuropäischen Staaten, sehr verbilligt. Viel neues Kapital strömte vor 2008 ins Land. Eigentlich hätten Mechanismen in der Währungsunion auf Ungleichgewichte in der Wirtschaft (niedrige Produktivität und Höhe der Löhne) und in der Finanzwirtschaft (Höhe der ausgereichten Bankkredite) hinweisen müssen. Aber diese Mechanismen gab es damals noch nicht, und so zeigten sich die Ungleichgewichte erst mit der Finanz- und Weltwirtschaftskrise 2008/2009. Die Staatsverschuldung begann zu steigen (s. nächste Grafik), weil der Staat eingreifen musste, um Schlimmeres zu verhüten:
Vor 2008 war die Staatsverschuldung, gemessen am Brutto-Inlandsprodukt (BIP), – wie aus der Grafik zu erkennen ist – noch moderat, aber danach schoss sie in wenigen Jahren in die Höhe und ging selbst über die kritische Marke von 120 % hinaus. Portugal musste 2011 Finanzhilfen der EU und vom IWF beantragen. Auf der einen Seite wird dadurch die Insolvenz oder (besser) die noch höhere Verschuldung eines Landes verhindert, auf der anderen Seite ist dieses Land ab diesem Zeitpunkt auch von den Interessen der Geldgeber abhängig. Und die wollen in erster Linie ihr Geld wiedersehen. Und wo lässt sich am schnellsten und am ehesten sparen: bei den Sozialausgaben und bei den Renten (geschehen auch im Fall Griechenlands). Das Ende der Geschichte ist dann oft, dass das BIP sogar noch sinkt, weil ja der Konsum in dem betreffenden Land zurückfällt. Und das ist im Fall Portugals gleichfalls zu sehen, s. obige Grafik. Aber wie gesagt, mit dem einfach-mehr-Geld-Ausgeben, um das Wachstum anzukurbeln, ist das auch nicht so einfach…
Also, Portugal bekam ab 2011 Finanzhilfen der EU sowie des IWF und fing an, seine Sozialausgaben zusammenzustreichen. Außerdem musste es sich zu sogenannten Strukturreformen verpflichten. Das betraf die Liberalisierung des Arbeitsrechts, eine Justizreform, die Privatisierung staatlicher Unternehmen, die Stärkung der Finanzverwaltung, eine Steuerreform, den Personalabbau im öffentlichen Dienst. Sicher war eine ganze Reihe davon sinnvoll. Aber natürlich tut es weh, wenn man sparen muss und z.B. Personal im öffentlichen Dienst abbaut – das vergrößert die meist schon hohe Arbeitslosigkeit. Die Stärkung der Finanzverwaltung hilft hingegen die Ordnung in diesem Bereich der Gesellschaft zu vergrößern. Bloß, so ganz toll auszuzahlen schienen sich, wenn man einen Blick auf die obige Grafik wirft, die Anstrengungen nicht. Das BIP vergrößerte sich kaum, entsprechend nahm auch die Verschuldung (relativ zum BIP) nicht ab.
Eine Wende trat erst mit Ende des Jahres 2015 ein. Der Sozialist António Costa übernahm die Regierung und warf das wirtschaftliche Ruder herum. „Genug gespart, nun versuchen wir Wirtschaftswachstum“, könnte man seine Devise nennen. Ob ihm dabei die vorherigen Sparanstrengungen begünstigten, so wie es die vor ihm an der Macht befindliche liberal-konservativen Sozialdemokratische Parte (PSD) behauptet, sei dahin gestellt. Doch auf alle Fälle hatte er aus der vorigen Sparperiode gelernt und ging mit den Haushaltsmitteln vorsichtig und sparsam um. Er gab also das Geld nicht mit beiden Händen aus – dagegen wären auch seine Gläubiger eingeschritten –, sondern setzte klare Prioritäten. Er musste für seinen Kurs die Mehrheit der Bevölkerung gewinnen, so lockerte er das Sparregime bei den Sozialausgaben und Renten etwas. Das hieß: Erhöhung des Mindestlohns, Zurücknahme der Gehaltskürzungen und Sondersteuern aus den Krisenjahren, Wiedereinführung der 35-Stunden-Woche im öffentlichen Dienst. Hingegen beim Gesundheitswesen tat er fast nichts, dort kam es sogar zu Budgetkürzungen. Die seine Regierung mittragenden Linkskräfte murrten deshalb zwar, aber sie scherten nicht aus. Daran kann man sehen, wie wichtig auch die politischen Verhältnisse in einem Land für einen Kurswechsel sind. (Renzi bekam in Italien keine Unterstützung für einen Kurswechsel!)
Dreh- und Angelpunkt des Kurswechsels blieb aber, dass es Costa gelang, neue wirtschaftliche Wachstumsfelder zu erschließen, die Geld in die Staatskasse spülten. Portugal ist von jeher ein Tourismusland. Costa konnte den Tourismus noch weiter anregen. Ausdruck dafür ist zum Beispiel das neu eröffnete Kreuzschiffterminal in Lissabon. Weiterhin gelang es, die Exportindustrie zu stimulieren. So konnten verstärkt Erzeugnisse aus der Metallindustrie, Komponenten im Kraftfahrzeugbereich sowie Schuhe, Papier und Textilien nach anderen Staaten geliefert werden. Zu den Wachstumsfeldern gehört indessen auch, dass sich Portugal als Standort für die Digitalwirtschaft anbot. Digitale Dienstleistungszentren eröffneten im Land, und der Web Summit – die mit 60.000 Teilnehmern größte Internet-Konferenz – konnte schon mehrmals nach Lissabon geholt werden.
Man sieht es auch an oberer Grafik, seit 2015 hat sich das BIP wieder erhöht und damit wurde die Staat-Verschuldung (in Relation zum BIP) abgebaut. Portugal ist zwar noch nicht über den Berg, (die Staatsverschuldung liegt noch bei kritischen ca. 120 %), aber wenn die Verhältnisse weiter günstig sind (Zusammenhalt und Zufriedenheit der Bevölkerung, keine selbstzerstörenden politischen Einflüsse, keine großen negativen weltwirtschaftlichen Ereignisse usw.), dann kann es dieses Land schaffen, aus den Schulden herauszuwachsen.