Der moderne Kapitalismus hat nicht nur Stärken (Innovationskraft), sondern auch Schattenseiten, von denen man unbedingt Notiz nehmen sollte. Einer dieser Schattenseiten widmet sich das Buch von Gerhard Schick: Die Bank gewinnt immer. Wie der Finanzmarkt die Gesellschaft vergiftet. Campus Verlag GmbH Frankfurt am Main 2020. 256 Seiten, broschiert, 22,00 Euro.
Die Stärken des Buches bestehen nicht in großen theoretischen Abhandlungen und Schlussfolgerungen, sondern in praktischer Beispielen, die zeigen, wie der Neoliberalismus bzw der moderne Finanzkapitalismus unsere Gesellschaft aushöhlt und vergiftet. Ich halte die Beispiele und Erkenntnisse des Buches für so wichtig, dass ich das Buch in zwei Blogbeiträgen besprechen möchte.
Die Lektüre ist nicht ganz leicht. Obwohl das Buch gut geschrieben ist, sind die vielen Beispiele, wie sehr die Politik vor den kriminellen Machenschaften des Finanzkapitals versagt oder den Finanzkapitalismus noch fördert, doch deprimierend.
Zum ersten Kapitel: Kriminalität und Finanzmarkt
Gleich das erste Kapitel des erwähnten Buches, das in neun Kapiteln gegliedert ist, beschäftigt sich mit der kriminellen Energie von Banken, von Besitzern des „großen“ Geldes und von Finanz-Institutionen, die das große Geld „verdienen“ wollen. Was vielleicht der Normalsterbliche nicht so vermutet hätte, es sind fast immer Banken dabei, auch solche, die sich groß und seriös geben, wenn es um kriminelle Machenschaften geht. Z.B. Seite 47, wo der Autor über die Manipulation des Referenzsatzes Libor berichtet:
„Die Zocker in den Banken manipulierten den Zinssatz so, wie er für sie gerade günstig war. Das war ganz einfach, denn die großen Banken legten diesen Zinssatz selbst fest. Mit von der Partie war wieder mal die Creme de la Creme der Bankenwelt: die UBS, Barclays, die Rabobank, die Deutsche Bank, die Societe Generale, die Royal Bank of Scotland, JPMorgan Chase, die Citibank, die Bank of America, Mitsubishi UFJ, Credit Suisse, HSBC und Lloyds.“
Nun könnte man diese Manipulation abtun und entschuldigen: Überall, wo es um Geld geht, wird auch versucht, zu betrügen! Doch würde diese Entschuldigung zu kurz greifen. Die Entgleisungen etlicher Banken haben System. Je höher die Summen, die man gewinnen kann, um so höher ist die kriminelle Energie. Dies belegt Gerhard Schick u.a. an den CumEx-Geschäften, die er gut und verständlich beschreibt: Um den Dividendenstichtag von Aktien wurden von Banken, Finanz-Institutionen und Privatiers Aktien hin und her verkauft, also hin und her geschoben, um hinterher vom Finanzamt eine einmal gezahlte Steuer mehrfach zurückzufordern. Der Schaden, der damit angerichtet wurde, wird allein für Deutschland mit 32 Mrd. Euro beziffert, also alles andere als Peanuts. Dieses Spielchen wurde über Jahre hinweg betrieben, manche Banken gründeten sogar Abteilungen, die sich damit ausschließlich beschäftigten, obwohl jedem Beteiligten klar sein musste, dass hier illegal, um nicht zu sagen, kriminell gehandelt wurde.
Möglich waren die CumEx-Geschäfte durch eine Lücke im Gesetz und weil unterschiedliche Abteilungen des Finanzamtes zuständig waren.
Immer wieder betont Gerhard Schick, dass ganze Heerscharen von Wirtschaftsberatern und Professoren die Machenschaften initiierten bzw. unterstützten. Es gibt fast kein Gebiet, das ausgelassen wird, wenn sich nur ordentlich Geld verdienen lässt. Das kann Geldwäsche sein, Steuerbetrug, Verschieben von Vermögen in Steueroasen und Steuervermeidungstricks der großen Konzerne. Allein bei Geldwäsche wird geschätzt, dass das 5 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukt (sprich der globalen Wirtschaftsleistung) betrifft. So wie das der Autor im einzelnen beschreibt, ist das schon sehr deprimierend, vor allem auch, dass der Staat sehr langsam handelt und sehr lange braucht, um seine Prüfmöglichkeiten (u.a. die BaFin = Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht) zu schärfen.
Zum zweiten Kapitel: unsere Geldanlage, die Banken und Versicherer reich macht
Exemplarisch für das Handeln der Regierung steht für Gerhard Schick, wie die private Altersvorsorge in Deutschland eingeführt wurde. Zwar wird seitdem vom Staat ein Zuschuss gewährt, wenn fürs Alter privat vorgesorgt wird – das ist unbedingt positiv zu werten –, aber gleichzeitig schaffte es die Versicherungswirtschaft, sich einen erheblichen Teil vom Kuchen abzuschneiden. Dazu Gerhard Schick auf S. 67:
„Als mit der Rentenreform 2000/2001 das Niveau der gesetzlichen Rente gesenkt wurde, hieß es: Jetzt wird zum Ausgleich privat geriestert. Stichwort: Versorgungslücke. Tatsächlich hat es damals die Versicherungslobby geschafft, ehemals staatliche Aufgaben zu privatisieren und sich auf diese Weise selbst ein geradezu gigantisches Konjunkturprogramm zu sichern. Und das alles auch noch staatlich bezuschusst! Selbst die Konditionen der Riester-Rente wurden so gestaltet, dass sie perfekt auf private Lebensversicherer passen.“
Lebens-Versicherungen genau wie Fondskäufe bedeuten aber für den Bürger das Bezahlen von Provisionen oder von Ausgabenaufschlägen und jährlichen Gebühren. Man muss deshalb als Bürger zum Eindruck kommen, die Klientel der Regierung sind nicht die Bürger, sondern eben die Finanz-Institutionen (Banken und Versicherer). Wie es besser hätte laufen können, darauf weist der Autor in seinem Buch auf S. 74 hin:
„Tagein, tagaus werden die Menschen in Deutschland ermahnt, privat vorzusorgen. Doch wenn sie es dann tun, werden sie vom Staat alleingelassen. Dabei könnte es auch anders sein. Das zeigt das Beispiel Schweden. Auch dort hat man sich entschlossen, einen kleinen Teil der Altersvorsorge über private Ersparnisse zu organisieren. Doch anstatt ein Konjunkturprogramm für die Lebensversicherer aufzulegen, hat der Staat einen Bürgerfonds gegründet, in den jeder einzahlen kann. Dieser Fonds investiert am Kapitalmarkt, verlangt aber keine Abschlussprovision.“
Warum hat sich die deutsche Regierung nicht ein Vorbild an Schweden genommen? Ja, warum wohl nicht…
Zum dritten Kapitel: Finanz- und Immobilienmarkt
Das dritte Kapitel ist eines der wichtigsten in dem Buch, gerade auch wegen aktueller Ereignisse, u.a. dem Kippen des Mietendeckels in Berlin vom Bundesverfassungsgericht. Die CDU/CSU und die FDP klatschten Beifall und riefen, wir haben es doch gleich gesagt, durch einen Mietendeckel wird keine einzige Wohnung mehr gebaut, richtig, dass er weg ist! Doch gerade diese Parteien waren es, die mit ihrem Handeln in der Vergangenheit zur Kalamität auf dem Wohnungsmarkt beigetragen haben. Die christlich-liberale Koalition stimmte 1989 für die Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit. Dazu Gerhard Schick, S. 84:
„Bis zu diesem Zeitpunkt hatten sich bestimmte Wohnungsunternehmen freiwillig verpflichtet, nur eine Miete zu verlangen, die die Kosten deckte, und ihren Genossenschaftsmitgliedern oder Gesellschaftern eine Rendite von höchstens 4 Prozent zu zahlen. Überschüsse mussten in Baumaßnahmen investiert werden. Im Gegenzug waren solche gemeinnützigen Wohnungsunternehmen von der Körperschafts-, der Gewerbe- und der Vermögenssteuer befreit. Außerdem gab es Befreiungen bei der Grunderwerbssteuer und eine Ermäßigung bei der Grundsteuer.“
Die Regierung wollte einen Teil einer Steuerreform gegenfinanzieren, durch die Gemeinnützigkeit entgingen ihr ca. 100 Millionen D-Mark pro Jahr, weshalb sie die Gemeinnützigkeit im Wohnungsbau abschaffte.
Aber das war erst der Anfang der Liberalisierung im Wohnungsmarkt. Wie Gerhard Schick berichtet, gab es in den Jahren darauf den großen Ausverkauf bei werkseigenen Wohnungen (Post, Bahn, Bundesversicherungsanstalt für Angestellte) sowie bei firmeneigenen Werkswohnungen. Wohnungen störten nur die Bilanzen. Zudem witterten viele Kommunen und Länder ihre Chance, sich durch kommunalen Wohnungsverkauf von Schulden zu befreien. Der Wohnungsbestand, der veräußert wurde, ging in die Millionenzahl.
In der Schrift von Gerhard Schick wird auf die Wirkung des Altschuldenhilfegesetzes von 1993 für die neuen Bundesländer oder dem Osten Deutschlands nicht eingegangen, dabei hätte sich das auch gelohnt, um die neue neoliberale Linie auf dem Wohnungsmarkt darzustellen.
Nun war der „freie“ Wohnungsmarkt geschaffen, den die christlichen und liberalen Parteien immer so sehr propagieren. Jetzt spielt nicht die entscheidende Rolle, ob Wohnungen bezahlbar sind, sondern ob sie genügend Rendite für die Investoren abwerfen. Dieser Logik folgend ist heutzutage der Wohnungsmarkt zweigeteilt. Es gibt die sehr knappen bezahlbaren Wohnungen, auf die in den Ballungsgebieten ein förmlicher Run einsetzt, und genügend hochpreisliche Komfort-Wohnungen und Appartements, um die sich keiner streitet, weil es nur auf das dicke Portemonnaie ankommt.
Zu allem kommt noch die Niedrig-Zinsphase, wodurch Investoren noch mehr auf das Betongold gestoßen werden und dort ordentlich investieren, um sich schadlos zu halten.
Wieder einmal zeigen die bürgerlichen Parteien (CDU/CSU und FDP) in ihrem Verhalten und ihren Ankündigungen, dass sie an dem traurigen Zustand auf dem Wohnungsmarkt nichts ändern und das große Geld weiter gewähren lassen wollen.
Gerhard Schick schlägt auf S. 94/95 seines Buches vor:
„Eine Maßnahme hierfür ist die Wiedereinführung der Gemeinnützigkeit. Gleichzeitig sollte der soziale Wohnungsbau wieder stärker gefördert werden. Damit gäbe es einfach mehr von dem Wohnraum, den wir tatsächlich brauchen. Auch würden diese vielen billigen, nicht renditegetriebenen Wohnungen die Mieten insgesamt drücken. Umsetzen könnten wir das, indem man eine großzügige Investitionszulage gewährt und Steuerbefreiungen für diejenigen, die günstigen Wohnraum schaffen. Auch hier sollten Investoren eine Rendite verdienen dürfen, aber diese sollten nur etwa 3,5 Prozent betragen.“