In einer Pressemitteilung vom 14. Juni 2022 hat das Statistische Bundesamt Deutschland für Mai 22 eine Inflationsrate von 7,9 % gegenüber dem Vorjahresmonat gemeldet. Damit lag die Inflationsrate für Deutschland im Mai höher als im April (7,4 %) und höher als im März (7,3 %). Die Inflation in Deutschland verfestigt sich demnach. Nun kann sogar die EZB (Europäische Zentralbank), die gern etwas anderes gesehen hätte (s. meinen Blogbeitrag vom Februar: https://oekonomie-kompakt.de/der-anfang-einer-erhoehten-inflation/), den Fakt nicht mehr leugnen. Sie geht jetzt für das ganze Jahr 2022 für die ganze Eurozone von einer Inflationsrate von 5,1 % aus. Solche Autoren wie Hans-Werner Sinn, die schon länger von einer höheren Inflation warnen, die mit einem Anstoßeffekt in die Gänge kommt und nicht sehr schnell enden wird, haben Recht behalten. Wir wollen in diesem Beitrag untersuchen, warum das so ist.
Eine Inflation, einmal angefangen, hört nicht so schnell auf
Die Tagesschau meldete am 20. April dieses Jahres:
„Die Erzeugerpreise gelten als wichtiger Frühindikator für die Entwicklung der Verbraucherpreise. Sie stoßen nur meist auf weit weniger mediales Interesse, weshalb sie zuweilen auch als »versteckte Inflation« bezeichnet werden. […] Auch in vielen anderen Bereichen [neben der Energie, Seb. Solt.] zeigten sich hohe Zuwachsraten bei den Erzeugerpreisen, die mit Verzögerung und in Teilen abgeschwächt auch zu einem weiteren Anstieg der Verbraucherpreise führen dürften. So lagen die Erzeugerpreise für Möbel im März 9,4 Prozent höher als ein Jahr zuvor. Teile für Klimageräte, Kühl- und Gefrierschränke verteuerten sich um 23,1 Prozent, Papier und Pappe um 45,3 Prozent und Metalle um 39,7 Prozent. Die Landwirtschaft muss ebenfalls starke Preisanstiege verkraften. Düngemittel kosteten im März 87,2 Prozent mehr als ein Jahr zuvor und Futtermittel für Nutztiere 45,7 Prozent. Hier wirkte sich der Krieg in der Ukraine mit einem Preissprung zwischen Februar und März besonders deutlich aus.“
Das statistische Bundesamt stellte für April 2022 einen Anstieg der Erzeugerpreise um 33,5 % gegenüber dem Vorjahresmonat fest, einem der höchsten Anstiege seit Beginn der Erhebung im Jahr 1949.
Zwar führt die Erhöhung der Erzeugerpreise nicht 1:1 zu einem erhöhten Konsumentenpreis, aber abgeschwächt, wie oben gesagt, schlagen sie eben doch auf den Endpreis durch. Zumal viele Firmen wie nie vorher vorhaben, wie das ifo-Institut in München am 5. Mai meldet, ihre Preise zu erhöhen. Deshalb glaubt der ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser in diesem Zusammenhang: „Die Inflation in Deutschland dürfte damit auch in den kommenden Monaten bei über 7 Prozent liegen“. [https://www.ifo.de/node/69491]
In diesem Blog soll keine Weltuntergangsstimmung verbreitet werden, aber klar muss schon sein, dass ein langfristiger Treiber der Inflation noch gar nicht erwähnt wurde, nämlich der Mechanismus der Lohn-Preis-Spirale. Die Berufstätigen im Dienstleistungsbereich, in der Industrie und bei den staatlichen Stellen werden die erhöhten Preise über einen längeren Zeitraum nicht einfach so hinnehmen, sondern ihrerseits einen Lohnausgleich für die Inflation fordern. Dies wiederum führt zu erhöhten Produktions-Preisen usw. Und damit flaut die Inflation nicht so schnell ab. In Großbritannien hat gerade der größte Bahnstreik der vergangenen 30 Jahre begonnen. Mehr als 40.000 Eisenbahner dürften sich an dem Ausstand beteiligen und so etwa die Hälfte des britischen Schienennetzes lahmlegen, nur ein Fünftel der Züge soll fahren. Auch für die kommenden Tage sind Streiks geplant. Man hatte den Eisenbahnern drei Prozent Lohnerhöhung zugestanden, bei 9 % augenblicklicher Inflation in dem Land! (in Großbritannien ist durch den Brexit und gestörten Lieferketten die Inflation höher als in Deutschland).
Was wirkt der Inflation entgegen?
Das ist die „gute“ Nachricht beim Sinnieren über Inflation, es gibt auch Faktoren, die gegen sie wirken: eine Rezession in der Wirtschaft. Ob die freilich für alle Beteiligten angenehm ist, steht auf einem anderen Blatt.
Einmal kann diese wirtschaftliche Rezession künstlich durch die Notenbank herbeigeführt werden, indem diese ihre Leitzinsen so weit erhöht, dass sie über der Inflationsrate liegen. Dadurch werden auch die Kreditzinsen für Unternehmen teurer (oder höher) und die Unternehmer überlegen es sich zweimal, zu investieren. Im Gegenteil, sie schränken bei zu hohen Kreditzinsen die Produktion ein. Der Kredit wirkt in der Wirtschaft wie ein Schmiermittel. Wenn er zu hoch ist, fängt es an zu „quietschen“. Allerdings hat die EZB (Europäische Zentralbank) gerade angekündigt, den Leitzins im Juli zum ersten Mal seit elf Jahren zu erhöhen, von 0,00 % auf 0,25 % (bei einer Inflation von über 7 % geradezu lächerlich!). Von der Seite her geht also kein Bremsen der Inflation aus. Eher da schon in den USA, wo die nationale Notenbank Fed den Leitzins stärker erhöht hat als die EZB.
Zum anderen kann auch eine natürliche Rezession, eine nicht unbedingt von der Notenbank herbeigeführte, die Inflation bremsen. Und diese Möglichkeit liegt augenblicklich viel näher. Drei Faktoren sieht die Schweizer Website „Investrends“, die auf eine nahende Rezession hinweisen:
Erstens, steigender Ölpreis
„Seit 1976 folgte in fünf von sechs Fällen einem boomenden Ölpreis eine US-Rezession. Aktuell haben sich Öl und Gas nach dem Abflauen von Covid-19 und der nachfolgenden wirtschaftlichen Erholung bereits kräftig verteuert. Hinzu kommt ein weiterer Anstieg als Folge des Krieges in der Ukraine.“Zweitens, steigender Zinsrate der Fed (Notenbank in den USA)
„Selbstverständlich würge eine Notenbank nicht vorsätzlich einen Wirtschaftsaufschwung ab. Ziel sei eine weiche Landung, eine allmähliche Verlangsamung der Wirtschaftstätigkeit, die hilft, die Teuerung einzudämmen und gleichzeitig eine Überhitzung am Arbeitsmarkt abzukühlen. In Wirklichkeit ist nach Meinung des Experten ein Soft Landing schwer zu erreichen, nicht zuletzt, weil die Geldpolitik nur eine von vielen Faktoren ist, welche die Wirtschaft beeinflusst. Nicht oder kaum zu kontrollierende Größen seien im aktuellen Umfeld der Krieg in der Ukraine und die Covid-Pandemie samt ihren preistreibenden Auswirkungen auf die Lieferketten und die Nahrungsmittelversorgung.“Drittens, inverse Zinsstrukturkurve
„Wie der Head of Multi-Asset Solutions [der befragte Leiter der Firma, Seb. Solt.] weiter erklärt, ist eine sich stark abflachende bis invers werdende Zinsstrukturkurve (Rendite 10-jähriger US-Schatzbriefe minus der Rendite 2-jähriger Staatspapiere) der klassische Vorbote einer Rezession in den USA. Das kurze Ende spiegelt die kurz- bis mittelfristigen Markterwartungen wider, das lange Ende der Kurve, wie Wirtschaftswachstum und Inflation über die nächsten zehn Jahre, eingeschätzt werden. Wenn, wie es sich aufgrund der galoppierenden Inflation immer mehr abzeichnet, die US-Notenbank die (kurzen) Zinsen aggressiv erhöht, mildert das zwar die Teuerungsgefahr, steigert aber im Umkehrschluss die Gefahr eines Wirtschaftseinbruchs.“ – Die Banken bekommen nämlich Probleme und vergeben weniger langfristige Kredite (Seb. Solt.). [Alles zitiert nach: https://investrends.ch/aktuell/opinion/diese-drei-klassischen-vorboten-weisen-auf-eine-us-rezession-hin/]
Notenbank hin oder her, auf alle Fälle zeigen die 70er Jahre, dass eine wirtschaftliche Rezession die Inflationsraten mindert, s. nächste Grafik.
Die Grafik zeigt zum einen, dass die Inflationsraten in Deutschland in den 70er und zu Beginn der 80er Jahre nicht so hoch waren wie in den USA, dort musste der Vietnam-Krieg finanziert werden. Zum anderen zeigen die eingezeichneten internationalen Rezessionen, (die nicht jedes Mal genau über zwei Jahre gingen, ganze Jahre wurden wegen der besseren Übersichtlichkeit und Übereinstimmung mit den jährlichen Inflationsraten gewählt), dass die Inflationsraten in dieser Zeit sanken.
Langfristig gesehen kann eine Inflation wieder abnehmen, wenn keine weiteren Preisschocks dazukommen. Das war in den 70er Jahren nicht der Fall, in denen gleich zwei mal die Erdölpreise erhöht wurden. Darauf macht der godmode-trader-Analyst Clemens Schmale aufmerksam: „Dass ein rascher Inflationsanstieg ungefähr zwei Jahre dauert, ist ebenfalls kein Zufall. Preisschocks bei Rohstoffen wie Öl und auch Lieferengpässe benötigen eine gewisse Zeit, um sich durch die Wertschöpfungskette zu bewegen und von Gütern auf Dienstleistungen überzuschwappen. Ist dies erst geschehen, flacht der Basiseffekt (niedriger Vergleichswert aus dem Vorjahr) ab. Damit die Inflation in den kommenden Jahren so hoch bleibt wie jetzt, benötigt es immer wieder neue Schocks. Sofern diese ausbleiben, wird die Inflationsrate ähnlich wie damals zurückgehen.“ [https://www.godmode-trader.de/artikel/wieso-optimismus-am-aktienmarkt-gerechtfertigt-ist,11151802]
Wie kann man das Feuer der Inflation sofort austreten?
Der Ökonom Hans-Werner Sinn forderte in einem Inflations-Vortrag im März 22 vor der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien: „Man muss das Feuer der Inflation sofort austreten!“ [https://www.youtube.com/watch?v=C6cd9WXk_hU&list=PLPpNV2SkU5obz9p0Gp7GY-rs1TUEJ46Qd&index=2] Freilich, mit welchen Mitteln man sie „sofort“ austreten sollte, das verschwieg der Redner. Wo er natürlich Recht hatte, dass man im Vorfeld eine solide Geld- und Haushaltspolitik betreiben sollte, um einer Inflation keine zusätzliche Nahrung zu geben.