Unter besonderer Berücksichtigung der Inflation
Meine Frau sagte öfters während der Coronakrise und des finanziellen „Gegensteuern“ des Staates, um ein Zusammenbrechen der Wirtschaft zu vermeiden: Oh, dieses viele Geld, das jetzt ausgegeben wird, das muss doch zur Inflation führen!
Untersuchen wir mal, was an der Vermutung meiner Frau dran ist.
In dem ersten Blogbeitrag vom September 2019 zum globalen Finanzcrash [https://oekonomie-kompakt.de/crash-oder-eiszeit-eine-globale-finanzkrise-kommt-auf-uns-zu/] wurde gleich am Anfang eine Grafik gezeigt, dass die Verschuldung in der Welt seit mindestens 1997 schneller steigt als das Wachstum der Wirtschaft (Wirtschaftswachstums-Indikator ist das Brutto-Inlandsprodukt BIP). Das gilt für viele Volkswirtschaften in der Welt bis auf ein paar Ausnahmen. Dazu aber im Gegensatz hat sich die weltweite Inflationsrate seit diesem Zeitraum nicht erhöht, sondern ist im Gegensatz sogar tendenziell gesunken. Siehe nächste Grafik:
(Anmerkung zur Grafik: Die Inflationsrate wird anhand von Warenkörben gemessen.)
Also doch keine Inflation bei einer wachsenden Verschuldung? – Ganz so einfach ist das nicht. Um weiterzugehen, müssen wir uns auf den Euroraum beschränken. Dort hat die Entwicklung der Geldmenge M3 (kurzgesagt ist das Bargeld bei Nichtbanken + Girokonten + Spar- und Termingelder + weitere kurzfristige Geldanlagen mit einer Laufzeit bis zu 2 Jahren; – diese Geldmenge M3 ist in jeden Währungsraum etwas anders formuliert) folgenden Verlauf genommen:
Das heißt die Geldmenge M3 ist in der Eurozone auf das 3,4-fache gestiegen. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat sich als Zielvorgabe eine Steigerung der Geldmenge M3 um 4,5 % jährlich gesetzt. Wenn sie die Zielvorgabe erfüllt hätte, hätte die Geldmenge M3 nur auf das 2,8-fache steigen dürfen.
Mit anderen Worten, die Geldmenge M3 ist überproportional gewachsen (im Durchschnitt 5,5 % p.a.) Das heißt nicht, dass die Bargeldmenge und die Girokonten genauso gestiegen sind – das würde sofort zu einem Geldmengenüberhang führen, der sich in einer steigenden Inflationsrate bemerkbar machen würde – aber die gestiegene Geldmenge M3 weist darauf hin, dass kontinuierlich mehr Geld in den Geldkreislauf gelangt ist.
Wie kommt es zur erhöhten Geldmenge M3?
Zwei Institutionen dürfen in der Eurozone Geld schöpfen, die Geschäftsbanken durch das Ausreichen von Krediten und die EZB. Die Geschäftsbanken müssen aber ihren Kredit gewissermaßen wieder „einsammeln“ – das passiert, wenn der Kredit zurückgezahlt wird. Wenn zuviel Kredit ausgereicht wird, der nicht zurückgezahlt werden kann, kommt es zu einer Wirtschaftskrise und zu einer Bedrängnis oder Kollaps der Geschäftsbanken. Die EZB hingegen kann „beliebig“ Geld schöpfen. (Viele Leute sprechen vom Gelddrucken, aber das ist nicht ganz korrekt, denn wenn sie tatsächlich „beliebig“ viele Geldscheine drucken würde, käme es ganz schnell zur Inflation.) Die EZB hat in den letzten Jahren tatsächlich viel Geld geschöpft, das sieht man an ihrer Bilanzsumme, s. nächste Grafik:
Man sieht aus der Grafik vier Schübe der erhöhten Geldschöpfung: um das Jahr 2008, um das Jahr 2012, um das Jahr 2016 und ab dem Jahr 2020.
Das Jahr 2008 hatte etwas mit der Finanz- und Bankenkrise zu tun. Das Jahr 2012 mit der Griechenland-Rettung und dem Aufkauf von Euro-Staatsanleihen (nicht nur griechischen) und ab dem Jahr 2020 mit der Corona-Pandemie. Bleibt noch das Jahr 2016. Da fand die EZB, dass die Inflationsrate in der Eurozone zu niedrig liege (weit unter 2 %, Gefahr von Deflation!) und fing an, in großem Stil Euro-Staatsanleihen und sogar Unternehmensanleihen zu kaufen.
Man kann also sagen, immer wenn die Presse schrieb, der Markt wird mit Geld geflutet, erhöhte die EZB ihre Bilanzsumme. Sie schaffte es nicht, sie zurückzuführen (mit Ausnahme der Jahre 2012, 2013, 2014).
Was sind die Auswirkungen der erhöhten Geldschöpfung der EZB?
Die EZB ist inzwischen der wichtigste Gläubiger der EU-Staaten. Das Ansteigen der Geldmengen hat natürlich Auswirkungen auf die Wirtschaft und den Wert des Geldes. Sehr eindrucksvoll beschreibt das Christian Kreiß, seines Zeichens Professor an der Hochschule Aalen für Finanzierung und Volkswirtschaftslehre (seit 2002) und Buchautor:
„Den Geldscheinen steht heute nicht mehr annähernd so viel reale Wirtschaftskraft gegenüber wie früher – und auch den Schuldpapieren stehen deutlich weniger reale Güter gegenüber als zuvor. Die Inhaber der Geld- und Schuldpapiere glauben aber offenbar immer noch, dass sie eines Tages ihr Geld real zurückbekommen und in reale Wirtschaftsgüter umtauschen können. Das ist aber längst eine Illusion, ein Irrglaube.“ Link [https://www.heise.de/tp/features/Welt-der-Zombie-Glaeubiger-5040440.html?seite=all]
Dabei erkennt Kreiß an, dass das externe Ereignis der Coroana-Pandemie außerordentliche Maßnahmen erforderlich machte:
„Ohne das massive Aufblähen der Geldmenge, das Überfluten der Banken, Regierungen und großen Unternehmen mit Liquidität wäre die Wirtschaft sowohl nach 2007 wie 2020/21 sicherlich sehr viel schlimmer abgestürzt, als sie es tatsächlich tat. So gesehen war das Gelddrucken ein großer Erfolg. Es kam weder nach 2007 noch 2020 zu einer sich selbst verstärkenden Wirtschaftsdepression. Die Notenbanken haben die Lektion der Jahre 1929 bis 1932 gelernt. Damals wurde kein frisches Geld gedruckt, die Zinsen nicht auf Null gesenkt, was die Welt in eine vieljährige Deflation, Depression, Massenarbeitslosigkeit und schließlich Krieg gestürzt hat.“ [siehe oben]
Freilich sollte man unterscheiden zwischen den Ereignissen 2007/08 (internationale Finanzkrise) und 2020/21 (Coronakrise). Die erste war menschengemacht in dem Sinne, dass die Notenbanken und die Regierungen schon vorher hätten dagegensteuern können, die zweite kam überraschend und von außerhalb. Aber in der Wirkung sind beide Ereignisse leider gleich, sie haben zur weiteren Verschuldung der Staaten beigetragen.
Gegenwart und Zukunft
Ich hatte im ersten Blogbeitrag vom Sept. 2019 zum globalen Finanzcrash [https://oekonomie-kompakt.de/crash-oder-eiszeit-eine-globale-finanzkrise-kommt-auf-uns-zu/] geschrieben:
„Wenn auch die ersten Vorboten der globalen Finanzkrise erscheinen, so wissen wir nicht, wie sie sich einmal austoben wird. Was wird crashhaft sein, was in Abmachungen zwischen Gläubigern und Schuldnern enden, was wird durch Inflation oder auch Deflation bereinigt.“
Das war damals nicht ganz korrekt, bzw. hat sich der Nebel heute etwas mehr gelichtet. Man kann mehrere Phasen der globalen Finanzkrise heute schon erkennen:
1. Phase: Das vermehrte Geld im Geldkreislauf ist vor allem zunächst in Vermögenswerte (Aktien und Immobilien) geflossen und hat zu einem Preisauftrieb bei diesen Gütern geführt. Dieser Preisauftrieb hat zum Beispiel bei Aktien zu einem erhöhten Kurs-Gewinn-Verhältnis seit dem Jahr 1995 geführt. (Weiterführende Literatur dazu z.B. für US-amerikanische Aktien [https://fairvalue-magazin.de/kgv-kurs-gewinn-verhaeltnis/] ) Auch die Preise für Immobilien sind in den letzten zwei Jahrzehnten stark gestiegen, ebenfalls in Deutschland.
2. zusätzliche Phase: Die „Enteignung“ der Geld-Sparer durch die Notenbanken hat etwa seit einem Jahrzehnt eingesetzt. Die Zinsen, die auf „Gespartes“ erhalten werden, liegen unter den Inflationsraten. Im Fachjargon wird das mit „finanzieller Repression“ bezeichnet.
3. gerade einsetzende und kommende Phase: Noch besitzen die großen Notenbanken (FED, EZB, BoJ) Einflussmöglichkeiten auf die Zinshöhe in der Wirtschaft, z.B. durch die von ihnen festgesetzten Leitzinsen. Sie werden aber zunehmend in ihren Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt. Wenn sie nicht mehr „manövrierfähig“ sind – eben weil sie auf Wirtschaftsakteure (Länder, Unternehmen) viel zu sehr Rücksicht nehmen müssen – bzw. wenn ihnen nicht mehr vertraut wird, ist der Höhepunkt der Finanzkrise erreicht. Dieser Höhepunkt kann sich aber über mehrere Jahre hinziehen. Und so gesehen kann es zu einer wirtschaftlichen „Eiszeit“ kommen. Die Notenbanken können den Konjunkturzyklus nicht mehr in gewohntem Maße über Zinserhöhungen oder -senkungen steuern.
Nebenbei bemerkt, wie sehr die Handlungsfähigkeit z.B. der EZB schon eingeschränkt ist, sieht man daran, dass ihr 2015 die Inflationsrate zu niedrig war und sie deshalb Staats- und Unternehmensanleihen aufgekauft hat. (Das mit den Unternehmensanleihen war ganz verrückt!) Jetzt, zum Ende des Jahres 2021, als die Inflationsrate weit über 2 % geklettert ist, hat sie plötzlich „Bedenken“ und Ausflüchte die Leitzinsen anzuheben und sofort die Staatsanleihenkäufe einzustellen. Irgendwie ist das doch schon grotesk, und vielleicht merken nur die Mitwirkenden in diesem Theater es nicht.
Viele Leute in Deutschland befürchten (so wie meine Frau) eine Inflation in Deutschland zur Löschung der aufgenommenen Schulden. Sie denken natürlich dabei an die Hyperinflation 1923 (mit monatlichen Preissteigerungsraten von über 50 %). Das so etwas eintritt, ist nicht ausgeschlossen, aber im Augenblick unwahrscheinlich. Zunächst müssen wir mit einer schleichende Inflationsrate rechnen (jährlich bis 5 %). Diese Inflationsrate war bei der Geldmenge M3 schon länger erreicht, auch, als noch die EZB mit Preisstabilität rechnete (Inflationsraten unter 2 % p.a., gemessen an einem Warenkorb).
Am wahrscheinlichsten ist im Augenblick, dass das Staatsschuldenproblem über eine Streichung der Bilanzsumme der EZB gelöst wird. Die Staaten würden dann teilweise von ihren Schulden entlastet, entsprechend den Proportionen, wie die EZB die Staatsschulden hält. (Daniel Stelter nennt das: Monetarisierung der Staatsschulden, s. dazu: Link: [https://oekonomie-kompakt.de/corona-economics-coronomics-ein-buch-von-daniel-stelter/])