Vielleicht kann nicht jeder Leser mit dem Fremdwort „Suffizienz“ etwas anfangen. Es kommt sowohl in der Medizin vor – ausreichende Funktionstüchtigkeit eines Organs – als auch in der Bildungssprache – Zugänglichkeit, Können. Hier ist aber eine Verbindung zur Ökologie gemeint: das Bemühen um einen möglichst geringen Rohstoff- und Energieverbrauch, und die damit verbundene Lebensweise.
Was ist das Besondere an dem vorliegenden Buch? Es öffnet die Augen, was notwendig ist, um die ökologische Krise, in die momentan die Menschheit beschleunigt hineinschlittert, zu begegnen. Dabei räumt es auch mit einigen Vorurteilen auf, zum Beispiel, dass der technische Fortschritt es richten wird, uns vor dem Kollaps zu bewahren. Wie der Autor sehr anschaulich auseinandersetzt, ist der technische Fortschritt zu langsam, um solch ein Zauberwerk zu verrichten. Forschungen und Investitionen brauchen Jahrzehnte, um sich durchzusetzen. Und auch in der Vergangenheit konnte man ablesen, dass der technische Fortschritt allein nicht die Lösung aller ökologischen Probleme darstellte. Denn alles das, was mit seiner Hilfe eingespart oder verbilligt wurde, wurde durch höheren Konsum wieder ausgegeben, entsprechend hat sich das Tempo der Umweltzerstörung in den letzten Jahrzehnten erhöht.
Ein weiteres Vorurteil ist, dass es allein um Klimaverbesserung oder weniger Ausstoß von Kohlendioxid und Treibhausgasen geht. Was in den nächsten Jahrzehnten notwendig ist: eine generelle Veränderung unsere Lebensweise. Sie bezieht sich eben nicht nur auf den Klimawandel, sondern es geht auch um Süßwassermangel, der Rückgang der Regenwälder, das Artensterben, die Expansion der Wüsten, Bodenerosion, die Verschmutzung von Boden, Wasser, Luft durch toxische und andere Rückstände. Durch unsere eigene Tätigkeit ist unser Trinkwasser in Gefahr, unsere Nahrungsmittelproduktion, die saubere Luft zum Atmen. Wenn wir weiter auf unserem Planeten leben wollen, müssen wir unseren Ressourcen- und Energieverbrauch in den nächsten Jahrzehnten um 50 bis 70 Prozent reduzieren. Von dem gegenwärtigen ökologischen Fußabdruck, der viel zu groß ist, – diese Kennzahl besagt, wie sehr wir die Regenerationsfähigkeit der Natur überschreiten – kommt der Autor auf diese sehr beträchtliche Einsparungs- oder Verzichtsquote.
Es gibt immer noch Leute, die sich für die ökologische Krise nicht interessieren, die sogar den Klimawandel für ein Hirngespinst halten, bzw. die argumentieren, dass es schon immer Klimawandel gegeben hat. Wer noch an dem vom Menschen verursachten Klimawandel zweifelt, dem sollten die Zahlen zu denken geben: „Seit dem Beginn der Industrialisierung um das Jahr 1750 nahm der CO2-Gehalt der Luft um ca. 35 Prozent zu und ist nun der höchste seit mindestens 800.000 Jahren. Andere wichtige Treibhausgase wie Methan und Lachgas, haben seit 1750 um 150 bzw. 17 Prozent zugenommen. Hauptverantwortlich für diese Veränderung der Atmosphäre sind, so der Report, menschliche Aktivitäten. Und mit der Atmosphäre verändert sich das Klima.“ (S.39)
Wer ist aber schuld an der ganzen, sich abzeichnenden Misere? Das sind mal nicht die Flüchtlinge, sondern die Menschen in den Industriestaaten selbst. Sie verbrauchen einfach zuviel, an Rohstoffen, an Energie, an Ressourcen. 20 Prozent der Menschen leben etwa in den Industriestaaten, die aber die Mehrheit der Ressourcen verbrauchen. In dem Buch geht es aber nicht um Schuldgefühle, sondern zunächst erst einmal – ich würde das den ersten Teil des Buches nennen – um das Nachzeichnen, wie es zu diesem gewaltigen Ressourcenverbrauch gekommen ist. Überhaupt ist vorliegende Schrift ein sehr wissenschaftliches Werk, die sich jeder Polemik enthält, und die Literatur durchforstet, wie die einseitigen Verhältnisse entstanden sind und welche Lösungen sich abzeichnen.
Selten habe ich solch eine Literaturfülle in einem Buch erlebt. Die Literaturstellen, vor allem soziologischer Art, sind nicht nur angeführt, sondern sind offenbar auch gründlich gelesen, denn sie werden im Text oft ausgewertet. Und trotzdem bleibt der Stil lesbar, manchmal schwingt er sich sogar zu literarischer Qualität auf, beispielsweise wenn der Autor sagt: „Gegenwärtig fällt das Barometer. Empfindliche Kosten, monetäre wie humanitäre, brauen sich wie eine Kilometer hohe Gewitterwolke über der menschlichen Zivilisation zusammen.“ (S. 29)
Der erste Teil, etwa bis zur Hälfte des Buches ist dabei der überragende. Hier deckt der Autor auf, wie es zu dem starken Ressourcenverbrauch in den Industriestaaten gekommen ist. Zunächst waren nur die Fürstenhöfe die Vorreiter des hohen Verbrauchs. Sie hatten Vorbildfunktion für andere Schichten, die versuchten ihnen nachzueifern. Solch eine Vorbildfunktion haben heute die Industriestaaten gegenüber den Entwicklungsländern. Wieder ist ein Nachahmungstrieb im Spiel oder man kann auch sagen: eine Elitefunktion. Wie der Autor diese Mechanismen aufdeckt (die Konsumrevolution und die Konsumentenrevolutionen sind dabei mit von der Partie), dabei auf die vorhandene Literatur zurückgreift, sie auswertet und zu einem Bild verdichtet, das wirkt wie aus einem Guss. Dabei geht er auf die Funktionsweise des Kapitalismus ein, ohne ihn zu verteufeln oder beim ihm allein die Schuld zu suchen.
Der zweite Teil des Buches (ab Seite 181) fällt dann etwas ab. Der große Nachteil ist, dass der Autor allein beim soziologischen Ansatz bleibt, um suffizientes Verhalten zum Siege zu verhelfen. Der Ansatz gründet sich zwar auf die herausgearbeiteten Leitlinien des ersten Teil des Buches (Vorbildfunktion, Verhalten der Eliten usw.), aber alles, was der Autor anführen kann, ist mehr eine Hoffnung, dass es so kommt, als eine Gewissheit. Er selbst entkräftet seine Thesen, indem er auf die Gefahr des Trittbrettfahrens eingeht. Die Menschheit hat zwar ein kollektives Interesse, sich selbst zu erhalten, aber daneben hat jeder Mensch eigene Interessen. Das kollektive Interesse, sich ökologisch zu verhalten, erfordert Aufwand, und da ist es für jeden Einzelnen leichter seinen eigenen Interessen nachzugehen und gleichzeitig vom kollektiven Handeln zu profitieren. Oliver Stengel zitiert in diesem Zusammenhang den Soziologen Mancur Olson: „Obwohl […] alle Mitglieder der Gruppe ein gemeinsames Interesse haben, diesen kollektiven Vorteil zu erlangen, haben sie doch kein gemeinsames Interesse daran, die Kosten für die Beschaffung dieses Kollektivgutes zu tragen. Jeder würde es vorziehen, die anderen die gesamten Kosten tragen zu lassen, und würde normalerweise jeden erreichten Vorteil mitgenießen, gleichgültig ob er einen Teil der Kosten getragen hat oder nicht.“ Und vorher schreibt Stengel: „De facto, so Olson, ist nicht richtig, dass alle Gruppenmitglieder ihr Handeln auf die Erreichung des Gruppenziels ausrichten (es sei denn es wird Zwang angewendet oder die Gruppe ist sehr klein).“ (S. 192)
Obwohl Stengel sehr überzeugend die Sache mit dem Trittbrettfahren darlegt – er bemüht sogar die Spieltheorie, um sie zu veranschaulichen – hofft er dennoch, dass sich die Trittbrettgefahr überwinden lässt. Gar nicht geht er darauf ein, welcher Art von Zwang das sein könnte, zum Beispiel ökonomischer Zwang, damit jedes einzelne Gruppenmitglied im kollektiven Interesse handeln könnte. Die Hoffnungen des Autors gründen sich, wie gesagt, allein auf Vorbild- und Elitefunktionen.
Manchmal verliert sich der Autor auch in Einzelheiten, wenn er beispielsweise auf die veränderten Formen des Rauchens, sprich Zigarette, eingeht. Die erst in den oberen Schichten verpönt war, aber dann sich doch durchsetzen konnte, und nun, in neuerer Zeit, wieder geschmäht wird. Eine suffiziente Lebensweise hat eben keine Lobby, wie die Zigarettenindustrie. Und sie hat auch kein wirtschaftliche Vorteile, es sei denn, dass unsere menschliche Gesellschaft erhalten bleibt.
Hier hätte es dem Buch gut getan, wenn der Autor die ökonomische oder regulatorische Ebene einbezogen hätte. Mindestens aber Maßnahmen analysiert hätte, die schon auf die Zukunft verweisen. Wie die Einigung der EU-Fischereiminister auf Fangquoten. Das deutet die Zukunft an: Zu solchen, möglichst weltweiten Vereinbarungen müssen wir kommen, wenn wir den Wettlauf mit der Zeit gewinnen wollen. Auch die Kohlendioxid-Zertifikate der EU könnten als Beispiel für die Zukunft gelten, wenn sie auch in der Gegenwart und Vergangenheit schlecht umgesetzt wurden.
Die Zeit zum Umdenken und veränderten Handeln zu nutzen, wird schwierig, ohne Zweifel. Aber solche Bücher wie von Oliver Stengel könnten uns, trotz einiger Nachteile, den Weg weisen.