Der Ruf rechter Kräfte „Merkel muss weg!“ ist mit Vorsicht zu genießen, denn sie tun, als hänge das ganze Flüchtlingsproblem nur an der Bundeskanzlerin Angela Merkel und als wäre es nicht ein größeres, schwierigeres.
Freilich hat Merkel in der Flüchtlingsfrage so reagiert, dass auch Merkel-Wohlgesinnte nur die Haare zu Berge stehen können. Nachdem die Kanzlerin jahrelang in Untätigkeit verharrte und die Hilferufe Italiens, Griechenlands und Spaniens nach Beistand in der Flüchtlingsfrage konsequent ignorierte, nachdem sie auch nicht im Traum daran dachte, ein Einwanderungsgesetz auf den Weg zu bringen, das eine geregelte Einwanderung möglich gemacht hätte, brach sie 2015 plötzlich in Betriebsamkeit aus. Irgendwie muss sie von ihrem eigenem „Gutmenschentum“ so überwältigt gewesen sein, dass ihr nicht klar war, was sie mit den Bussen nach Budapest, um die dortigen Flüchtlinge zu holen, auslöste: Ein Flüchtlingsstrom bisher kaum gekannten Ausmaßes (außer nach dem 2. Weltkrieg) ergoss sich plötzlich nach Deutschland. Das richtig Schlimme waren eigentlich nicht die Flüchtlinge, sondern dass Deutschland nicht vorbereitet war. Alle staatliche Stellen, die Polizei, die Aufnahmestellen, die Verwaltung, waren überfordert, und hätte es nicht viele ehrenamtliche Helfer gegeben, wäre das Chaos noch viel größer gewesen.
All das zeigt, Merkel verhielt sich wie eine Traumtänzerin und war hinterher noch verbohrt genug, um ihre Fehler nicht einzugestehen. Viele „gutmeinende“ Menschen, besonders aus dem Ausland, hießen gut, was Merkel tat. Aber erinnert werden muss, dass Frau Merkel nicht als Gutmensch, sondern als Kanzlerin gewählt wurde. Moralisch kann man ihrem Verhalten vielleicht wirklich noch etwas abgewinnen, aber wenn man es politisch bewertet, hat Frau Merkel in der Flüchtlingsfrage versagt.
Nun will die CSU mit Herrn Seehofer und Herrn Söder die Fehler von Frau Merkel korrigieren. Aber es bleibt nicht beim Einziehen einer Obergrenze von 200 000 Flüchtlingen pro Jahr, sondern die Daumenschrauben in der Flüchtlingsfrage werden sukzessive immer weiter angezogen. Nun sollen jene Flüchtlinge an Deutschlands Grenzen zurückgewiesen werden, die in einem anderen EU-Erstankunftsland angekommen und registriert worden sind. Das erschwert aber eine europäische Lösung, denn die Erstankunftsländer wie Italien, Griechenland und Malta sperren sich natürlich auch dagegen, zu viele Flüchtlinge aufnehmen zu müssen. Andere EU-Staaten wie Polen, Ungarn, die Slowakei und Tschechien (die Visegrád-Staaten) dagegen sträuben sich überhaupt, Flüchtlinge aufzunehmen. Man sieht, es gibt in der EU bei der Flüchtlingsfrage ein absolutes Durcheinander, bei der jeder versucht, seine eigenen Interessen in den Vordergrund zu stellen, weil eine strenge, einigende Hand fehlt. Und es ist nicht absehbar, dass dieses Durcheinander jemals zu einer Ordnung führen wird. Jetzt tauchen schon Stimmen von Politikern auf, die vorschlagen, Flüchtlinge außerhalb der EU-Grenzen zu „deponieren“, um das Problem aus Sichtweite zu bekommen.
Vielleicht ist es deshalb ganz gut, sich einiges Grundsätzliches in Bezug auf die Flüchtlingsfrage bewusst zu machen.
Einiges Grundsätzliches zum Flüchtlingsproblem
Das Flüchtlingsproblem ist ein langfristiges Problem, es wird sich nicht von heute auf morgen lösen lassen. Nach Angaben des UNHCR (Hochkommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge) zählen augenblicklich knapp 70 Mio Menschen als Flüchtlinge. Die Gründe für die Flüchtlingsbewegung sind Krieg und Gewalt, Perspektivlosigkeit und Armut, Diskriminierung und Verfolgung, Umweltzerstörung und Klimawandel, Landraub und Rohstoffhandel. Wenn man sich diese Ursachen anschaut, wird es in Zukunft nicht zu einer Verringerung, sondern im Gegenteil noch zu einer Vergrößerung des Flüchtlingsproblems kommen. Grundsätzlich stehen die Industriestaaten vor der Frage: Wollen sie die Flüchtlingsfrage so lösen, dass sie damit nicht konfrontiert werden, also sich abschotten und so tun, als hätten sie damit nichts zu tun, oder sind sie bereit, zu helfen und einige Fluchtursachen wenigstens zu mindern. Vor dieser grundsätzlichen Frage steht eigentlich jeder Bürger in diesen „wohlhabenderen“ Staaten, denn natürlich beziehen Politiker in ihrem Handeln den Willen der Bürger ein. So kommen wir zur nächsten Frage, welche „Lösungen“ bzw. Möglichkeiten, mit dem Flüchtlingsproblem umzugehen, gibt es überhaupt.
Welche „Lösungen“ gibt es für das Flüchtlingsproblem?
Zwei extreme Lösungen sollen gleich zu Beginn vorgestellt werden:
Zum einen ist das, wir öffnen die Grenzen und lassen jeden Flüchtling herein, der das Land oder die EU erreicht.
Diese Lösung hatten wir schon einmal 2015 mit den bekannten Folgen: eine unglaubliche Sogwirkung auf die Flüchtenden, einer Überlastung der Staats- und Verwaltungsorgane und eine Gegenreaktion oder auch zunehmenden Unwillen der Bevölkerung gegen zu „viele“ Flüchtlinge, die versorgt und integriert werden müssen.
Die andere extreme Lösung ist, wir schotten unsere Länder oder die EU völlig ab und lassen kein Flüchtling mehr herein, unter dem Motto: „Jeder Flüchtling ist zu viel!“
Das hieße dann, uns ist das Flüchtlingsproblem egal, sollen die Flüchtlinge doch sehen, wo sie bleiben, Hauptsache, sie kommen nicht in unser Land/unsere Länder. Fast immer bedeutet diese „Lösung“, dass wir keine Mittel und Unterstützung bereitstellen, um das Flüchtlingsproblem überhaupt zu entschärfen oder zu mindern.
Zwischen diesen beiden extremen Positionen gibt es eine Reihe von Abstufungen. Z.B. Wir legen Wert auf den Schutz unser Außengrenzen, damit nicht zu „viele“ Flüchtlinge zu uns kommen, aber zugleich helfen wir Nachbar-Ländern, die von der Flüchtlingsbewegung und kriegerischen Konflikten besonders betroffen sind. Unsere Hilfe geht auch noch weiter, wir tun etwas für globalen Umweltschutz und versuchen, die größte Armut und Unterentwicklung in den Ländern, aus denen die Flüchtenden kommen, zu beseitigen. Zu dem letzteren gibt es größere Diskussionen in der wissenschaftlichen und populär-wissenschaftlichen Literatur, und es ist nötig, kurz darauf einzugehen.
Wie können wir helfen?
Der US-amerikanische Nobelpreisträger für Ökonomie 2015 Angus Deaton hat 2013 ein Buch geschrieben (2016 in deutsch erschienen „Der große Ausbruch“), in dem er sich u.a. mit der Entwicklungshilfe in der Form auseinandersetzt, wie sie Industriestaaten Entwicklungsländern gewähren. Er kommt bei seiner Analyse zu dem Schluss, dass die Entwicklungshilfe zwar im einzelnen helfen kann (das trifft auch auf die Hilfe von Nicht-Regierungsorganisationen, den NROs, zu), aber insgesamt doch zu wenig zur Entwicklung der unterstützenden Staaten beigetragen hat. Öfters war sie sogar bei der Entwicklung schädlich, weil sie die dortigen Regierungen entband, wirklich etwas für ihre Bevölkerung zu tun. „Besonders lehrreich sind die Erfahrungen mit der Entwicklungshilfe in Subsahara-Afrika. Nicht alle, aber der Großteil der ärmsten Länder liegt in Afrika. Sieht man von Afghanistan, Bangladesch, Kambodscha, Haiti, Nepal und Osttimor ab, so befinden sich die 40 ärmsten Länder der Welt allesamt dort. Der afrikanische Kontinent ist die Heimat des armen Landes, wenn auch nicht die Heimat des armen Menschen. Die Länder Afrikas haben sehr viel Hilfe erhalten, die zweifellos genügt hätte, um ihr Wirtschaftswachstum anzukurbeln, wäre sie für eben diesen Zweck verwendet worden.“ [Angus Deaton „Der große Ausbruch“ Klett-Cotta, Stuttgart 2017, S. 359]
Am ehesten hat die Arbeit von NROs und von Entwicklungshilfe bei der medizinischen Betreuung der Bevölkerung in den armen Ländern geholfen, wie Deaton analysiert. Aber insgesamt kann man eine Entwicklung von außen nicht anstoßen, nicht durch Geld und nicht durch guten Willen. Die Bereitschaft muss von den Menschen nebst den Eliten aus dem Land selbst kommen. Allerdings kann man, und darauf geht Deaton nicht ein, die Voraussetzungen für eine Entwicklung verbessern, indem man hilft, das Bildungsniveau der Bevölkerung zu heben. (Das gräbt auch religiösen Fanatismus und Terrorismus das Wasser ab.) Andere Bücher – wie z.B. das sehr gute Buch „Wer überlebt? – Bildung entscheidet über die Zukunft der Menschheit“ [Reiner Klingholz, Wolfgang Lutz, Campus Verlag Frankfurt/Main 2016] verweisen darauf. Allerdings muss man auch bei Bildungsförderungen in den Entwicklungsländern detailliert herangehen. Es gibt Regimes, die eine Bildung ihrer Bevölkerung geradezu ablehnen. Die genannten Autoren zählen dazu derzeit: Libyen, Nigeria, Somalia, Pakistan und Jemen. Einer Reihe von anderen Ländern (und die sind in der Mehrzahl) wie z.B. Äthiopien oder Mosambik fehlen einfach die Mittel dazu, die Bildung ihrer Bevölkerung zu verbessern, oder sie erachten Investitionen in Straßen und in Kraftwerken oder in die Landwirtschaft als wichtiger. Hier könnte ausländische Hilfe wirklich nützen.
Genauso wie es in den meisten Entwicklungsländern gelungen ist, die Basisgesundheit zu verbessern, sollten auch Anstrengungen von Seiten der Industriestaaten unternommen werden, um die Basisbildung in den armen Ländern zu erhöhen. Freilich immer in Zusammenarbeit mit den betreffenden Ländern, ohne ihnen ein westliches System oder sonst ein geartetes System aufzuzwingen (auch das betonen die genannten Autoren). Sie kommen zu dem Fazit: „Der Kampf der Bildungskulturen ist längst nicht entschieden. Stagniert die Bildungsexpansion in den am wenigsten entwickelten Ländern oder hindern radikale Kräfte die Mädchen am Schulbesuch, dann bleiben die Geburtenraten hoch und die Länder in einem Kreislauf aus Bevölkerungswachstum, Armut und Unbildung gefangen. Die reichen Länder tun also im eigenen Interesse gut daran, zu verhindern, dass die armen Länder in eine noch schwierigere Lage treiben.“ [250 f.]
Diese gezielte Bildungsoffensive in den Entwicklungsländern ist doch etwas anderes als eine deutsche Kanzlerin-Reise nach Afrika (Merkel unternahm eine im Oktober 2016, als sie begriffen und davon gesprochen hatte, dass man die Fluchtursachen in den Ursprungsländern bekämpfen müsse), streute laut Medienberichten in wichtigen Transitländern der Migrationsbewegung Geld aus (Geld, das nie bei der einfachen Bevölkerung ankam, sondern in den Taschen der Regierungsbeamten und Landlords hängen blieb), um große Transitrouten schließen zu lassen. (Mit dieser Bemerkung soll nicht negiert werden, dass Deutschland auch außerhalb der EU Hilfe für Flüchtlinge gewährt, aber mitunter zu wahllos!)
Das Problem bei den Bildungs- und Entwicklungsanstrengungen von Industriestaaten für Entwicklungsländer ist, dass sie, falls sie etwas bewirken, das nur langfristig tun können. Aber gerade in der Flüchtlingsfrage wünschen die Politiker kurzfristige Lösungen.
Was kommt nach Merkel?
Merkel hat, wie schon eingangs erwähnt, schwere Fehler in der Flüchtlingsfrage gemacht. Besonders fällt auf, dass sie, wie schon öfters, ohne Konzept vorgegangen ist. Dennoch sollte man, wie bei jeder Beurteilung einer politischen Handlung, sachlich bleiben. Die Flüchtlingsfrage ist nicht die allerwichtigste Frage unserer Tage, sondern nur eine der wichtigen. Genauso wichtig ist z.B. die Staatsverschuldung, die Frage, wie es mit der EU oder dem Euro weitergeht, wie sich die Ökologie entwickelt.
Es ist allerdings ein Fehlschluss, wenn die Bürger meinen, wie die Flüchtlingsfrage gelöst wird, welche Kräfte die Oberhand behalten, betreffe sie nicht. Man braucht nur nach Ungarn oder nach Polen zu schauen. Sobald nationalistische Kräfte das Regierungsruder übernehmen (und die Flüchtlingsfrage auf ihre Art lösen!), hat das auch Auswirkungen auf die Demokratie, die Justiz und die Formen des Umgangs der Bürger miteinander. Es wird die Pressefreiheit eingeschränkt, die Unabhängigkeit der Justiz wird abgebaut, das Leben von Nichtregierungsorganisationen wird erschwert oder ganz unmöglich gemacht – wie jetzt in Ungarn. In dieselben Fußstapfen tritt auch Donald Trump (vielleicht zeichnet er auch öfters die Fußspuren vor!). Donald Trumps Vorzug besteht auch noch darin, dass er den Dollar ruiniert.
Ein gutes Beispiel bietet auch unsere deutsche CSU. Sobald sie die Obergrenze von 200 000 Flüchtlinge pro Jahr durchgesetzt hat (etwas, was noch halbwegs vernünftig war), verlangt sie mehr, und schiebt gleich mal ein neues Polizeigesetz, das alle Bürger in Bayern betrifft, nach. Das zeigt an, wohin die Reise gehen soll…