In Warschau regiert seit 2015 die PiS-Partei, die sich ironischerweise Recht und Gerechtigkeit nennt. Sie hat zwar bei den Parlamentswahlen 2015 „nur“ 37,5 % der Stimmen bekommen, kann aber aufgrund des bestehenden Wahlrechts sowohl im Sejm als auch im Senat mit der absoluten Mehrheit der Sitze regieren.
Als einer der ersten Handlungen der rechts- oder nationalkonservativen Regierung wurde eine Medienreform eingeleitet, die zunächst den öffentlich-rechtlichen Rundfunk betraf und später auf das öffentlich-rechtliche Fernsehen und die Presseagentur ausgeweitet wurde. Bürgerrechtler sprechen im Zusammenhang mit dem großen Mediengesetz von einer Säuberung der öffentlich-rechtlichen Medien. Jaroslaw Kaczynski, der Vorsitzende der PiS will es aber dabei nicht belassen, sondern auch eine „Repolonisierung“ der privaten Medien einleiten, u.a. ist ihm ein Dorn im Auge, dass mehrere deutsche Verlage polnische Zeitungen und Zeitschriften in Polen herausgeben.
Aber nicht das PiS-Mediengesetz, das in Brüssel schon Kritik hervorrief, sondern die eingeleitete PiS-Justizreform, nach der u.a. der Justizminister künftig Gerichtsvorsitzende ohne Grund entlassen und ohne Rücksprachen mit Juristen durch neue Kandidaten ersetzen kann, brachte das Fass zum Überlaufen. Brüssel sah die Unabhängigkeit der Justiz in Polen gefährdet und leitete ein EU-Vertragsverletzungsverfahren ein, das seit 20. Dezember 2017 zu einem Sanktionsverfahren gegen Polen führte.
Doch nicht dieses Verfahren soll hier im Mittelpunkt stehen, und auch nicht die Politik von national- oder rechtskonservativen Parteien, die als erstes versuchen, die Unabhängigkeit von Medien und Justiz in Frage zu stellen, sondern vielmehr interessiert hier, ob auch in der Wirtschaft Spuren des neuen politischen Regimes in Polen zu erkennen sind.
Polen befindet sich auf einem Wachstumspfad
Polen befindet sich seit Jahren auf einem Wachstumspfad. In nachfolgender Grafik sind die BIP-Wachstumszahlen für Deutschland und Polen eingetragen, man kann sie also vergleichen:
Keine Kunst kann man sagen, Polen wächst ja von einem niedrigeren Level aus als Deutschland. Das stimmt. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf lag 2016 in Deutschland um das 1,7 fache höher als in Polen (siehe nächste Tabelle). Um eine Vorstellung von der Größenordnung zu bekommen, wurde in der Tabelle auch Russland aufgenommen.
Nebenbei bemerkt, Russland hat ein relativ hohes kaufkraftbereinigtes Pro-Kopf-BIP. Das hängt mit dem Rohstoffreichtum dieses Landes zusammen. Ansonsten hat Polen wahrscheinlich die modernere Wirtschaft. Und Polen hat vor allem die Einbindung in die EU und die geografische Nähe zu Deutschland. Einbindung in die EU heißt, nicht nur wirtschaftliche Verflechtung mit den übrigen EU-Ländern, sondern auch Milliarden EU-Strukturhilfe. Polen ist derzeit der größte Nettogeldempfänger in der EU. Auch wenn sich die polnische Regierung nicht an alle EU-Beschlüsse hält (z.B. Flüchtlingsquoten, Mediengesetz), so nimmt sie die Milliarden aus Brüssel gern an.
Die Sozialpolitik der augenblicklichen polnischen Regierung
Um auf unsere Eingangsfragestellung zurückzukommen, auch in den Jahren 2015-2017 wächst die Wirtschaft Polens trotz rechtskonservativer Regierung in Warschau weiter kräftig, wie man an der Grafik des BIP-Wachstums erkennt. Da auch die Löhne steigen – sie haben sich seit 2005 verdoppelt –, schätzt der ehemalige polnische Finanzminister Leszek Balcerowicz, dass in etwa 20 Jahren in Deutschland und in seinem Land gleiche Lohnstandards herrschen werden.
Allerdings ist dann auch der Wettbewerbsvorteil von Polen gegenüber anderen westeuropäischen Ländern nicht mehr vorhanden. Bis dahin muss es Polen gelingen, nicht nur die verlängerte Werkbank von Deutschland zu sein, sondern auf eigenen wirtschaftlich kreativen und innovativen Beinen zu stehen. Sonst passiert, was mit anderen Ländern wie Argentinien, Südafrika oder Mexiko passiert ist, sie kommen jahrelang nicht vom Fleck und der Abstand zwischen den entwickelten Industriestaaten und ihnen bleibt bestehen. Um dem entgegen zu wirken, erfordert es tatsächlich eine eigene nationale Wirtschaftspolitik mit besonderen Investitionen in Bildung, Forschung und Entwicklung und Förderung innovativer Betriebe. Ausländische Konzerne oder Firmen werden das auf keinem Fall übernehmen. Aber ob sich die rechtskonservative polnische Regierung dessen bewusst ist?
In dem augenblicklich günstigen ökonomischen Umfeld hat die PiS erst einmal die Mindestlöhne 2017 um 8% erhöht. Und auch die Sozialleistungen wie erhöhtes Kindergeld und Gratismedikamente für Senioren werden derzeit nicht gerade zu einer Ablehnung der PiS in Polen beitragen. Dabei gibt es in Polen laut Verfassung eine Staatsschuldenquote von 55%, bei deren Überschreitung die Regierung gezwungen ist, schwerwiegende Maßnahmen zu ergreifen, um das Limit wieder einzuhalten. Bei Überschreitung von 60% ist die Regierung gezwungen, den Haushalt ohne weitere Verzögerung auszugleichen. Es versteht sich von selbst, dass die polnischen Regierungen versuchen, ihren finanziellen Spielraum bis zum Limit auszunutzen, so auch die PiS.
Zusammengefasst heißt das, dass erstens, die rechtskonservative Regierung in Polen alles andere als ein ökonomischer Selbstmörder ist und in die florierende Wirtschaft nicht eingreift – was ja auch verständlich ist, denn sie wird sich ja ihre eigene Erfolgsbasis nicht schmälern. Und zweitens versucht sie, mit sozialen „Wohltaten“ die polnische Bevölkerung gewogen zu stimmen (aber das versuchen auch andere, nicht rechtskonservative Regierungen).
Freilich mit ihrer Ablehnung der Zuwanderung von Flüchtlingen wird die PiS das polnische demografische Problem nicht lösen können. Denn ähnlich wie in Deutschland ist ebenfalls die Geburtenrate in Polen extrem niedrig. Und in 15 bis 20 Jahren könnte das auch zu einem wirtschaftlichen Problem werden.